Weltumradlung von Markus Greter

5. März 2019

Start zur Weltumradlungs-Etappe Nummer 30, hurra! Diesmal von Perth nach Broome in Westaustralien!

Start in Perth/Freemantle. 

Veloweg dem Meer entlang nach Norden.

Und das sind meine zwei Begleiter: Hannes (auf zwei Beinen) und Anna (auf vier Rädern).

Links Busch, rechts Busch.

Und einige Kängurus, Emus und Löffeligel.

Pinnacles. Coole Mini-Wüste mit tausenden kleiner Steintürme.

Wir üben fleissig, uns im Outback mit dem Satellitentelefon zu finden. Handynetz gibt es keines. Dann übt mal schön, Jungs ...

Von wo der Wind weht, ist ja wohl klar! Rückenwind, hurra! Eukalyptus-Allee kurz vor Geraldton. 

Eukalyptus mit aerodynamischer Bodenhaftung.

Geraldton: Der letzte Supermarkt vor der 1000 Kilometer langen Strecke nach Paraburdoo. Unterwegs wird es nur drei Tankstellen mit Wasser, aber ohne Laden geben. Wir rechnen mit 16 Tagen und kaufen Berge ein.

Sammelmail 1, Geraldton/Mullewa

 

Hallo Leute

Etappe 30, hurra! Seit einer Woche bin ich in Australien. Diese Reise führt von Perth im Südwesten nach Broome im Norden, mehrheitlich durch das Inland, also das menschenleere Outback. In dieser ersten Mail berichte ich von meinen Begleitern auf zwei Beinen und vier Rädern. Dann, Leser, schauen wir auf die paar Probleme und Stolpersteine in Sachen Technik und radeln nach Geraldton. Dort kaufen wir, Leserin, eine halbe Tonne Material ein und fragen uns, wie lange es wohl geht, bis der Halbrahm, die Broccoli und Orangen schlapp machen.
Viel Spass bei Sammelmail 1!


Australien mit Hannes

Australien ist mit seinen schieren Dimensionen eine Kategorie für sich. Die Distanzen sind immens, und zwischen den wenigen Ortschaften zeigt sich meist Hunderte von Kilometern lang nur das gleiche Bild: Wüste oder Halbwüste. Wer Australien unter die Räder nimmt, hat zwei Möglichkeiten: Entweder man radelt auf den grossen Highways und kommt dann alle paar hundert Kilometer an "Service Stations". Das sind Tankstellenshops für Lastwagen- und andere Fahrer. Oder man vermeidet die grossen Highways, radelt auf Schotter und muss in punctoVersorgung kreativ werden. Für diese Reise wählte ich letzteres. Vor Jahren war ich an einer Multivision eines anderen Fernradlers, der Australien so "bewältigt" hat: Er fuhr die Strecke zuerst mit einem Auto ab, vergrub alle 100 Kilometer sieben PET-Flaschen mit Wasser und kennzeichnete die Stellen mit farbigen Bändeln. Am Ende verkaufte er das Auto wieder und radelte die ganze Strecke zurück. Alle 100 Kilometer fand er bei den farbigen Bändeln seine sieben vollen PET-Flaschen und verbuddelte dafür die sieben leeren. Das hat mir natürlich Eindruck gemacht. Allerdings störte ich mich an der Tatsache, dass er gegen 300 PET-Flaschen der Erde überliess. Ich wollte das etwas anders angehen. Ich liebäugelte damit, irgend einen australischen Studenten anzustellen, der mir mit dem Miet-Auto folgen würde, im Auto ein Arsenal von Wasser und Lebensmitteln. Da kam das Angebot von Hannes grad recht. Wir sind schon seit Jahren befreundet, wir kennen uns bestens, und Hannes dürfte für den relativ öden Job als Begleiter ganz schön geeignet sein. Er behauptet von sich, er sei zu langsam für diese Welt. Tatsächlich: Er isst sogar noch langsamer als ich! Auch sonst ist er kaum auf der Überholspur. Täglich nur eine Velodistanz zu fahren, ist für ihn perfekt. So bleibt viel Zeit, die Blümchen und Viecher am Strassenrand zu bestaunen. Zudem hat er in Perth einen Metalldetektor gekauft und sich eine "mining permission" geholt. Er wird nun mit der Wünschelrute die Erde nach Goldklumpen absuchen, jawohl. Im Büchlein, das er auf der Behörde erhielt, wird geschrieben, man dürfe als Mineur sämtliches gefundenes Gold mitnehmen ... allerdings nur Klumpen bis 20 Kilo. Sind die Nuggets schwerer, muss man sie liegen lassen. Naja, damit können wir leben.
Hannes kennt mein Velo übrigens bestens. Er war zwar noch nie auf Weltumradlung mit dabei, hatte aber vor neun Jahren Herr Meiers Taufe zelebriert. Zauberer und Pyroman von Beruf, hatte er das wie erwartet mit viel Feuer und Rauch getan. Da kann ja nichts mehr schief gehen.

 

Anna

Aber zuerst musste noch eine Karre her. Auf der grössten Aussie-Internet-Seite für Gebrauchtautos suchten wir uns schon lange vor der Abreise ein paar passende Modelle aus. Eine alte Schulfreundin von mir wohnt in Perth. Ihr Sohn Daniel, Automechaniker von Beruf, besah sich die beiden Favoriten und befand das eine für perfekt. Das kauften wir in der Folge und liessen es von ihm noch etwas aufbrezeln: neue Bremsen, zwei neue Pneus und sonst ein paar Korrekturen. Als Hannes eine Woche vor mir nach Perth flog, erwartete ihn der Toyota Landcruiser bereits in Daniels Garten. Hannes taufte die eifarbene Schönheit auf den Namen Anna. Die Tage vor meiner Ankunft verbrachte er damit, Anna einzufahren und auszustatten mit Pfannen, Gasflaschen, Campingstühlen, Werkzeug, Ersatzteilen und sonstigem. Das ist Service! In Anna kann man nicht bloss kochen, nein, in Anna kann man auch bequem zu zwei schlafen: Eine Person schläft auf dem oberen Boden, eine auf der Sitzbank. Als ich vor einer Woche in Perth landete, holte mich Hannes am Flughafen ab ... mit Anna, versteht sich, und die erste Nacht fand gleich am Ozean statt.
Anna ist indessen kein taufrisches Mädchen mehr, sondern eine robuste ältere Dame: Imposant ist nicht unbedingt das Baujahr (1996), sondern vor allem der Kilometerstand: 530 000! Anna fuhr also bereits über 12 Mal rund um den Globus. Während in Europa kaum ein Auto eine halbe Million Kilometer auf der Haube hat, ist das hier ziemlich normal. "Dieser Motor", meinen viele, "hält vielleicht grad nochmals so lang!". Hoffen wir es, denn ab sofort folgt nur noch menschenleere Wüste.

 

Die Technik, die Technik

Nun ist es nicht so, dass mir Hannes ständig am Hinterrad klebt. So würde er ja keine Goldklumpen finden. Vielmehr fährt er sein eigenes Tempo und seine eigene Route. Wir treffen uns jeweils am Abend oder vielleicht sogar nur alle zwei Tage. Dieses Vorgehen ist extrem praktisch, zeigt aber bei genauerem Hinsehen durchaus auch einige Tücken. Wie finden wir uns mitten in der Wüste, wenn keiner weiss, wo genau sich der andere befindet? Handynetz gibt es im australischen Outback keines. Und wie sichern wir uns ab, wenn Anna allenfalls den Geist aufgibt?
Ich kaufte in der Schweiz zwei Satellitentelefone und liess mir bei einem Crashkurs erklären, wie diese Dinger funktionieren. Telefonieren kann man mit den kleinen, leichten Mini-Versionen nicht, man kann nur SMS schreiben, und auch das geht nur sehr mühsam. Via App und Bluetooth kann man allerdings auch vom Handy aus Mitteilungen senden. Es gibt einen SOS-Notfallknopf, dank dem man Kontakt mit allfällig nötigen Rettern aufnehmen kann. Das ganze Satellitentelefonkonstrukt ist nicht ganz billig, aber für unser Vorhaben praktisch unumgänglich.
Die Idee ist diese: Wenn immer ich am späten Nachmittag des vereinbarten Tages allmählich müde werde, sende ich Hannes mit meinem Satellitentelefon eine Standort-Message. Er erhält dann meine Koordinaten, packt seine Goldklumpen ein (ihr wisst es, pro Klumpen höchstens 20 Kilo) und kann meinen Standort mit dem Tomtom-Navigationssystem finden. In der Theorie ist das aber einfacher als in der Praxis. Vor ein paar Tagen begannen wir, dieses Prozedere "live" zu üben, und nicht ganz unerwartet zeigten sich noch ein paar Probleme. Zum Beispiel: Alle Messages brauchen etwa 40 Minuten, bis sie beim Empfänger sind. Bis Hannes dann bei mir ist, dauert das eine halbe Ewigkeit. Schwieriger als erwartet war auch das Eintippen der Koordinaten im Tomtom-Navigationsgerät im Auto. Das hat einfach nie funktioniert. Auch Einheimische konnten uns nicht weiterhelfen. Nach vielen, vielen Versuchen fanden wir heraus, dass das Navi die Koordinaten, die das Satellitentelefon ausspuckt, wegen den Kommastellen nicht erkennt. Gibt man die Koordinaten ohne Kommastellen ein, klappt das bestens. Tja, ganz einfach. Bloss draufkommen muss man. Nun denn, nach ein paar Tagen hatten wir die technischen Schwierigkeiten im Griff. Und also konnte es losgehen.

 

Von Perth nach Geraldton

Perth gilt als die isolierteste Grossstadt der Welt. Tatsächlich: Hat man die ausufernden Suburbs der Zweimillionenstadt hinter sich, präsentiert sich mehrheitlich Halbwüste, und bis zur nächsten namhaften Stadt sind es über 3000 Kilometer.
Meine ersten 500 Kilometer verliefen wunderbarerweise auf Asphalt, perfekt zum Einfahren und Aklimatisieren. Mehr oder weniger der Küste entlang, gibt es immer wieder schöne Aussichtspunkte, die Landschaft ist aber nicht allzu spannend. Links Busch, rechts Busch. Die "Pinnacles" sind da eine löbliche Ausnahme: Auf einer Fläche von ein paar Quadratkilometern ragen Tausende kleiner Steintürmchen fotogen aus dem Sand. Im Licht der untergehenden Sonne war das fantastisch. Wie genau das entstanden ist, bleibt ungewiss. Hannes hat schon bemerkenswerte Erfolge mit seiner Wünschelrute vorzuweisen. Der Goldsegen hat zwar noch nicht eingesetzt, immerhin aber fand er ein paar alte Schrauben und eine rostige Metallplatte. Er war schnorcheln und zu Fuss in den Dünen unterwegs. Ich meinerseits habe die ersten fünf Tage abgestrampelt, Herr Meier ist topfit, und grosso-modo kann ich das auch von mir behaupten, mal abgesehen von der Tatsache, dass ich während der ersten drei Tage bei jedem Halt vor Erschöpfung sofort einschlief. Aber das kenne ich von anderen Reisen in heissen Gefilden. Ja, es ist heiss, aber Hand aufs Herz, es wird noch VIEL heisser! Die Einheimischen sagen alle, es sei bislang ein ungewöhnlich kühler Sommer. Mir soll es recht sein, es herrschen momentan meistens so etwa 35 Grad am Schatten. Ich radle aber an der prallen Sonne. Ab 11 Uhr ist es heiss, ab 12 Uhr sehr heiss, und also mache ich bis 16 Uhr wenn möglich irgendwo am Schatten Siesta. Einmal machte ich die lange Mittagspause in einem der seltenen kleinen Dörfer, und die Chefin des dortigen Restaurants meinte als erstes: "Du bist nicht etwa mit dem Velo unterwegs, oder? You must be a bloody idiot!" Haha, das hat sie vielleicht recht.

Ich starte jeden Tag ein bisschen früher, um von den kühlen Morgenstunden zu profitieren.
Falls ihr glaubt, ich fahre bloss mit der Lenkertasche herum und lasse das ganze Gepäck von Anna kutschieren, seid ihr auf dem Holzweg. Ich will das meiste bei mir haben. Bloss die Campingtasche und ein paar Kleider lasse ich während des Radelns im Auto.


Shopping in Geraldton

Nach fünf Tagen im Sattel hatten wir Geraldton erreicht. Das ist die letzte Stadt vor Paraburdoo, das ungefähr 1000 Kilometer weiter im Nordosten liegt. Unterwegs gibt es drei Tankstellen, die Wasser, aber kaum Lebensmittel anbieten. Selbstverständlich haben wir uns abgesichert, dass diese Tankstellen auch wirklich offen sind. Grossmehrheitlich verläuft die Strecke nach Paraburdoo auf Schotter, und mit ein paar Ruhetagen im Hinterkopf rechneten wir damit, Paraburdoo in 16 Tagen zu erreichen. Das hiess: Einkaufen für 16 Tage plus Reserve, bloody hell! Obwohl wir dreimal Wasser an Tankstellen aufladen können, beluden wir Anna mit 220 Liter Wasser: 70 Liter im Wassertank, 150 Liter in Kanistern. Die beiden 80-Liter-Dieseltanks füllte Hannes heute morgen, zusätzlich führen wir 40 Extra-Liter in Kanistern mit. Man kann ja nie wissen: Wenn alle Stricke reissen (respektive die drei Tankstellen abgefackelt oder ausgetrocknet sind), würde das bis Paraburdoo reichen. Bei den Fressalien kommt man aus den Superlativen auch kaum heraus. 4 Kilo Teigwaren, 7 Beutel Zmorge-Müesli, 40 Dosen Bier, jenste Liter UHT-Milch und gefühlte Tonnen von diesem und jenem: der Material-Berg war (und ist) immens. Wir stellten gestern nachmittag alles vor Anna auf und fotografierten das Ganze. Es sah aus wie ein Freilicht- Lebensmittelladen. Nun stellen sich aber trotz Anna einige logistische Hürden. Denn Anna hat keinen Kühlschrank! So ein Teil würde sofort 500 bis 1000 Franken kosten, und das kam für uns nicht in Frage. Wir schleppen zwei Kühltruhen mit herum, die werden bei jeder Tankstelle mit Eis bestückt. Aber innerhalb weniger Stunden wird das flüssig. Wenn die Mangos, Salamis und Käsestücke im Wasser schwimmen, ist das auch nicht so richtig lässig. Somit haben wir also eine Einkaufsliste erstellt, die dem Rechnung trägt: Ganz kleinkariert haben wir die Menus mehr oder weniger bereits zum Voraus erstellt: Die ersten drei Tage gibt es noch Riz Casimir mit frischen Früchten, Spaghetti Carbonara mit frischem Rahm und eine Gemüsepfanne, dann ist bereits Ende mit solchen Luxusspeisen, dann folgen immerhin noch ein paar Tage mit den Pilzen, die knapp vor dem Abschlaffen liegen dürften, etwas länger haltbaren Tomaten und dem, was von den Zucchetti noch essbar ist, und spätestens nach Tag 5 oder 6 gibt es nur noch Konserven. Wir haben etwa 3 Kilo Sugo und Fertig-Bolognese, zwanzig Dosen aus der ansonsten üblen Kategorie Bohnen/Linsen/Erbsen und unzählige Trockenpilze. Die 120 Stück Obst für meinen täglichen Znüni- und Zmittags-Vitaminschub (20 Rüebli, 20 Kiwis, 20 Äpfel, 20 Orangen, 20 Bananen, 20 Nektarinen) dürften mit etwas Glück immerhin eine Woche oder 10 Tage halten. Anschliessend gibt es nebst Trockenobst und Getreideriegeln, die mir nach wenigen Tagen bereits auf den Senkel gehen, halt Vitamintabletten. So.
Und die halbe Tonne Material, von Wasser über Diesel und Berge von Fressalien, verstauten wir gestern abend in unserer Anna. Hurra, alles hatte Platz, wer hätte das gedacht.

Heute strampelte ich die 105 Kilometer bis Mullewa ab. Die erste der drei Tank- und Wasserstellen ist bereits hier, nach einigem einzigen Tag! Das nützt auch nicht wahnsinnig viel, aber ich will mich nicht beklagen. Ich geniesse noch einmal WiFi, ab morgen dürfte das nur noch spärlich der Fall sein.

Wir sind wahnsinnig gespannt, wie es in den nächsten Tagen läuft. Ein kleines bisschen nervös sind wir, ich gebe es zu. Zwanzig Leute wollten uns schon von unserem Vorhaben abhalten. Aber ein paar wenige fanden das zwar crazy, aber cool. "Wenn ihr wisst, was euch da oben erwartet", meinten sie, "dann macht es, aber bereitet euch gut vor!" Das taten wir. Und also starten wir das Abenteuer. Yes!

Bisherige Strecke: Perth/Fremantle - Dongara - Geraldton - Mullewa, alles Asphalt
Bisherige Kilometer: 568
Bisherige Höhenmeter (nur bergauf gerechnet): 2680
Bisherige Pannen: keine

Es geht mir bestens!

Liebe Grüsse
Kus oder Cusco (je nach sozialem Umfeld)

 

Los geht's auf den Schotter-Trip. Die Strasse ist meist hervorragend. Aber ein bisschen heiss ist es.

Meistens herrschen tagsüber Temperaturen um die 45 Grad am Schatten. Die Luft und der Boden werden auf über 60 Grad aufgeheizt. Bloody hell!

Mit der Hitze kann ich mich bald arrangieren, mit den Fliegen wird es schon schwieriger. Oft fahre ich nur mit Fliegengitter. Die Viecher rauben einem den letzten Nerv.

Lunch mit Fliegengitter. 

Nach 12 Uhr mache ich meist Siesta. Damit das möglichst gut über die Bühne geht, heisst das: Mit einer Blache Schatten generieren, die Isomatte aufblasen und im Seidenschlafsack zwei Stunden schlafen. 

Und über den Kopf das Fliegengitter oder das gute alte Glarnertüechli.

Plattenflicken bei 46 Grad.

Anna hat auch so ihre Launen. Mal geht die Beifahrertür nicht auf, mal klemmt die Hecktür. Aber insgesamt läuft die alte Dame super. Beim Kauf hat sie bereits 530 000 Kilometer auf dem Buckel gehabt! Ich sagte ja, es ist eine ältere Dame!

Der Kennedy-Nationalpark wartet mit tollen Gesteinsformationen auf.

Der Mount Augustus wird als der grösste Monolith der Welt vermarktet. Ein Witz, finden allerdings die Gelehrten. Einfach ein bewachsener Hügel im Outback also. Aber schön ist die Aussicht trotzdem.

Wenn das nicht Glück bringt ...!

 Die lilafarbene Schönheit am Wegrand.

Mount Augustus war die letzte Tankstelle vor Paraburdoo. Von Mount Augustus sind es noch 430 Kilometer bis zur Minen-Siedlung.

Die Schotterpiste wird merklich schlechter, schlängelt sich aber wunderschön durch die Landschaft. In drei Tagen sah ich nur gerade zwei Autos.

Anstatt immer das Satellitentelefon zu benutzen, bedienen wir uns auch viel brachialerer Methoden ... mit farbigen Bändern, Sprays und Filzstiftnotizen.

Die Echsen sind bis zu einem Meter gross. Die meisten sind sehr scheu. Diese hier hatte wohl einen Kampf mit einem anderen Tier oder einem Auto: Der halbe Schwanz ist weg.

 Einige Tausendfüssler sind nicht so harmlos, wie sie aussehen. Die können ganz schön giftig sein.

Python, leider überfahren. Was für ein wunderschönes Tier! 

Das hingegen ist NICHT wunderschön. Wenn man um 5.45 Uhr morgens nicht fertig mit dem Frühstück ist, hat man verloren. Die Fliegen fallen zu Tausenden ein und erklären das Festessen für beendet. Holy shit!

Und was macht Hannes, während ich Velo fahre? Er hat sich eine Goldgräber-Lizenz geholt und geht mit dem Metalldetektor spazieren. Der grosse Gold-Segen ist leider noch nicht eingetreten. Hannes freut sich aber auch über verrostete Nägel, alte Gewehrkugeln, Drähte und sonstiges Zeug aus Metall. Never give up, mate! 

Hallo Leute

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> > In dieser zweiten Sammelmail berichte ich, Leserin, vom etwas gewöhnungsbedürftigen Radeln im Brutkasten, dem Satellitentelefon und seinen brachialen Alternativen, Herr Meiers Psychostruktur und Anna, die ab und zu etwas launisch ihre Dienste tut. Dann machen wir, Leser, einen wunderbaren Kurzurlaub an der Tankstelle von Gascoyne Junction, radeln zu einem Monolith, der keiner ist und montieren uns einen Fliegengitterhut. Am Schluss erreichen wir leicht lädiert, aber glücklich Paraburdoo.
> > Viel Spass beim Lesen!
> >
> >
> > Velofahren im Mikrowellenherd
> >
> > Bis Geraldton und Mullewa, wo ich euch die letzte Sammelmail geschrieben hatte, war die Temperatur noch im Bereich "Hitze für Anfänger" ... mit meistens um die 36 Grad am Schatten. Zwei Tage später setzte indes "Hitze für Fortgeschrittene" ein: Über Nacht schien jemand den Schalter gedreht zu haben, alles war nun 10 Grad heisser, sowohl Nächte als auch Tage, und fortan hatte ich mit weitaus schwierigeren Bedingungen zu kämpfen. Kurz nach Mullewa begann die "Huere-Siech-isch-das-heiss"-Phase. Mir schien, ich befinde mich in einem Mikrowellenherd und komme dort einfach nicht mehr raus. Doch Mitleid ist fehl am Platz. Haltet ständig vor Augen, dass ich freiwillig hier bin und gewusst habe, auf was ich mich einlasse. So, das wäre geklärt.
> >
> > An zwei Abenden kurz nach Mullewa konnte ich kaum mehr die Beine heben, hatte absolut keine Energie und war insgesamt klinisch tot. Wohlverstanden, ich hatte genügend Wasser in mich hereingegossen, genug gegessen, einen Hut getragen und keinen Sonnenstich eingefangen. Rein medizinisch, rein rechnerisch, rein theortisch war ich ergo gesund und hätte fit sein sollen. Doch die Hitze zog mir sämtliche Energie aus den Poren. Die Kraft schien einfach zu pulverisieren, sich im Nichts aufzulösen. Während des Tages hatten wir konstant 46 Grad am Schatten, oh god, das war die Hölle. Und sehen wir es realistisch: Schatten gibt es keinen. Der Boden und die Luft wärmen auf über 60 Grad auf, Steine kann man kaum anfassen. Das Wasser in meinen PET-Flaschen ist dauernd zwischen 65 und 70 Grad heiss ... grad etwa so, wie man einen frisch zubereiteten Tee im Normalfall trinkt. Der Blick auf mein Thermometer im Kilometerzähler lässt ab und zu erschaudern: Shit, das gibt es doch nicht!
> > An einigen Orten meiner bisherigen Weltumradlung wurde es ebenfalls heiss, aber nicht so ausgedehnt wie hier in Australien. In Namibia und Sudan hatte ich zu Spitzenzeiten ebenfalls mit 44 Grad fertigzuwerden, allerdings nur an extremen Hitzetagen und nur während den paar Stunden nach dem Mittag. Hier in Australien erreicht das Thermometer die 45-Grad-Marke meist schon um 11 Uhr und fällt bis 16.30 Uhr nicht mehr drunter. Hat man dann noch Gegenwind, ist die Sache gelaufen.
> > An meinen beiden Ach-du-Scheisse-Tagen, an denen irgendwie nichts funktionierte und ich abends klinisch tot war, schaffte ich jeweils nur gerade 60 Kilometer. Ein Witz. Ich fragte mich, welcher Teufel mich geritten habe beim Entscheid, Australien im Hochsommer zu bereisen. Spass machte das nicht. Jene geradlinige Dame vor einer Woche hatte schon Recht gehabt, als sie meinte, ich sei "a bloody idiot". Die Schotterpiste war zwar hervorragend, aber an den langen Siesta-Pausen von 12 bis 16 Uhr wurde ich von den Fliegen am Schlafen gestört, und die Sträucher und Büsche boten einfach zu wenig Schatten. Lesen ging auch nicht, denn die Fliegen hockten auf die Augenlider. An einem dieser Ach-du-Scheisse-Tage, an denen ich abend sogar zum Kotzen zu müde war, meinte Hannes, die Hitze und die Fliegen könne ich nicht ändern, ich müsse vielmehr meine Siesta optimieren: Ich müsse, meinte er, einerseits mehr Schatten und andererseits mehr Schlafkomfort generieren, nur so könne ich von den täglich vier Stunden Siesta einen Nutzen ziehen. Ab sofort folgte ich seinem Rat. Ich hing nun bei jeder Siesta eine grosse blaue Plastic-Plache in einen Strauch, um richtig Schatten zu erhalten, legte meine aufblasbare Luftmatratze auf die Campingdecke, hüllte mich in meinen Seidenschlafsack und bedeckte den Kopf mit einem Fliegengitterhut. Auf diese Weise konnte ich trotz grosser Hitze einigermassen frei von Fliegen zwei oder drei Stunden schlafen. Die Idee von Hannes war echt gut, und nach diesen überstandenen K.O-Tagen war ich abends wieder einigermassen fit. Das Velofahren machte mir enorm Spass! Wahnsinnig abwechslungsreich war die Landschaft zwar nicht, aber ich genoss es sehr, einfach durch die Szenerie zu pedalen und in Gedanken zu versinken. Obwohl: Gescheite Gedanken gibt es nur bis 11 Uhr, anschliessend mutiert das Hirn zu einer aufgeheizten, dickflüssigen Pampe, die des Denkens kaum mehr fähig ist. Während des Velofahrens giesse ich meist 8 bis 9 Liter Flüssigkeit in mich herein: einem Gemisch aus Wasser, wenig gesüsstem Tee und einer Elektrolyt-Tablette. Dank dem Inhalt dieser Tabletten wird der Körper mit Magnesium, Vitaminen und den wichtigsten Mineralien versorgt und macht dann nicht so schnell die Schraube.
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> > Das Satellitentelefon und die brachialen Alternativen
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> > Es war geplant gewesen, Hannes nicht täglich zu treffen, sondern nur alle zwei bis drei Tage. Von dieser Planung sind wir aber längst abgerückt. Was wäre, wenn Hannes mit dem Auto steckenbleibt, zwei Velo-Tagesetappen entfernt? Ich würde schlichtwegs vertrocknen. Also treffen wir uns jeden Abend, alles andere wäre zu gefährlich. Um uns zu finden, haben wir extra Satellitentelefone gekauft. Idee ist: Ich sende damit eine SMS mit meinem Standort an ihn, er gibt die Koordinaten in sein Navigationsgerät im Auto ein und kommt zu dieser Stelle. Nun ist es aber so, dass eine SMS flotte 40 Minuten braucht, um beim Empfänger anzukommen, zudem sind die Satelliten-SMS kostenpflichtig. Meist vollziehen wir unsere Kommunikation deshalb mit viel brachialeren Methoden. Beim Frühstück vereinbaren wir irgend einen Punkt auf der Karte, meist einen Abzweiger zu einem Hof oder sonst eine markante Stelle. Allerdings wissen wir zu diesem Zeitpunkt jeweils nicht, wie gut die Piste ist und wie oft der Wind seine Richtung ändert. Deshalb sind diese provisorischen Treffpunkte meist nicht mehr als 70 oder 80 Kilometer vom Startpunkt entfernt. Ich treffe fast immer als erster dort ein, dann Hannes geniesst es, am Morgen ausgedehnte Goldgräber-Wanderungen zu machen und erst in der nachmittäglichen Hitze zu fahren. Will ich am vereinbarten Ort weiterradeln, hänge ich orange-farbene Bänder in die Bäume und spraye einen Pfeil sowie den Zusatz "10 km" auf den Boden. Nach punktgenau 10 Kilometern wiederhole ich das Prozedere, falls ich nochmals 10 Kilometer radeln will. Vor einigen Tagen hatte ich so einen enormen Energieschub, dass ich nach den vereinbarten 90 Kilometern zuerst 20, dann nochmals 20 und schliesslich nochmals 10 Kilometer radelte. Hannes folgte am späten Nachmittag von orangefarbenen Bändeln zu orangefarbenen Bändeln und fand bei jeder Verlängerung, der Typ auf dem Velo sei wohl komplett crazy. 140 Kilometer war ich dank Rückenwind gebrettert und wäre wahrscheinlich noch weiter vorgeprescht, doch hatte ich meine 9 Liter Wasser bereits getrunken. Die anderthalb Reserve-Liter wollte ich behalten. Will heissen: Schluss mit Pedalen.
> > Nun, ab und zu sende ich trotzdem wieder mal per Satellitentelefon eine SMS an Hannes. Schliesslich müssen wir auch ständig ein bisschen den Ernst- und Notfall proben. Nun ist es leider so, dass die Tomtom-Navigationsgeräte hier im Outback oft den Geist aufgeben. Auch Einheimische hatten uns davor gewarnt, uns zu stark auf diese technischen Hilfen zu verlassen. Auch bei ihnen funktioniere das Navigationsgerät im Auto nur schlecht oder gar nicht. So ist es. Seit Tagen macht das Teil schlapp. Will heissen, Hannes kann meine Koordinaten nicht mehr eintippen und wird dann ergo nicht mehr zu mir gelotst. Er muss vielmehr mit dem Satellitentelefon seine Koordinaten mit den meinen vergleichen und auf diese Weise eruieren, in welcher Richtung ich stecke. Ein gewisses Verständnis von Geografie und Logistik ist da mit Sicherheit förderlich. Hannes hat das, und ich bin ihm ziemlich dankbar dafür. Bislang war es ja immer so, dass das Suchen einseitig war: Hannes sucht mich, nicht umgekehrt. Immerhin ist die Suche so schwierig nicht, zumal ich mich immer auf der einsamen Schotterpiste befinde. Die schlängelt sich 1000 Kilometer durch den Busch, mit nur ganz wenigen Abzweigern.
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> > Herr Meier Superstar und Anna's best
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> > Ihr wisst es: Ich singe tagtäglich meinem Herr Meier eine langfädige Lobhudelei, es nimmt kein Ende, ich bin täglich mindestens anderthalb, manchmal auch über zwei Stunden damit beschäftigt. Das Galileo-Herr-Meier-Lied umfasst inzwischen 66 Strophen und 12 Jingles. Nach früherer Logistik hätte es sogar noch wesentlich mehr Jingles, doch habe ich kürzlich die Regeln etwas angepasst, und also wurden die Jingles ausgedünnt. Aber eine ganze Weile zum Singen brauche ich allemal noch: Neulich war ich, dank Rückenwind in flottem Speed, volle 49 Kilometer lang am Trällern. Nun ist es aber so, dass man bei grosser Hitze nicht mehr so richtig singen mag. Ich singe also gleich am frühen Morgen, kurz nach dem Start bei Sonnenaufgang. An einem der beiden K.O.-Tage war ich aber schon am Morgen schlapp und wollte das Bisschen Rest-Energie lieber in die Beine investieren als ins Singen. Und also liess ich, ohne das mit Herr Meier abzusprechen, einfach alle Jingles weg. Nun muss man wissen: Singe ich nur die Strophen, singe ich ausschliesslich von meiner Weltumradlung. Die eigentliche Lobhudelei auf mein geliebtes Zweirad passiert in den Jingles. Und also ist es ganz einfach: Lässt man die Jingles weg, fehlt die Lobhudelei. Ich war mir des Risikos offensichtlich nicht ganz bewusst. Herr Meier quittierte den Frevel postum und servierte subito den ersten Platten. Seither singe ich täglich das GANZE Herr-Meier-Galileo-Lied, nicht nur 66 Strophen, sondern auch sämtliche Jingles, und jene meist doppelt so laut, sodass auch ein Tauber sie hören würde. Das klappt. Inzwischen hat Herr Meier zwar nochmals zwei Platten eingefahren, aber das waren Dornen, da kann er nichts dafür. Herr Meier ist vielleicht schnell beleidigt, ist und bleibt aber ein Superstar.
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> > Unsere Anna tut ebenfalls prächtig ihren Dienst, sie fährt und fährt und fährt. Allerdings hat sie immer wieder ihre kleinen Schwäche-Anfälle. Manchmal lassen sich die beiden Heck-Türen nicht mehr öffnen. Die Begleitertür geht auch nur auf, wenn es Anna grad so passt. Aber alles in allem ist Anna eine Heldin. Nun, es ist eine ältere Dame. Beim Fahren zieht es den Sand und Staub durch alle Ritzen und Öffnungen, sodass es im Inneren immer ausssieht wie nach einem Sandsturm. In den Pfannen, auf dem Besteck, den Konservendosen, auf den Müesli-Packungen und den Matratzen ist die Einheitsfarbe immer sand-braun. Immerhin ist Anna farblich immer schön assortiert. Wenn man Anna an einem Abend putzt und säubert, sieht es 24 Stunden später wieder genau gleich aus. Hannes, der alte Tüftler und Bastler, optimiert ständig Kästchentüren, Scharniere und Abdeckbänder, was die Situation vielleicht ein bisschen verbessert, aber wirklich nur vielleicht und nur sehr vorübergehend. Anna ist ein Dreckskätzchen.
> > Aber wir wollen uns nicht beklagen, Hauptsache, sie fährt. Und das tut sie.
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> > Ferien an der Tankstelle
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> > Auf dem 1000 Kilometer langen Weg von Geraldton nach Paraburdoo gibt es genau drei Tankstellen, an denen man nebst Diesel auch Wasser erhalten kann, doch sind die Tankstellen Numer 1 und 2 gleich zu Beginn. Auf dem Weg zu Numer 3 hatte ich meine bereits beschriebenen Tage, an denen ich vor Hitze fast den Schirm zumachte und mich fragte, was dieses saublöde Spiel eigentlich soll, und also flehte ich mit der letzten zur Verfügung stehenden Energie darum, mit einem kleinen Kunstgriff eine Zusatz-Tankstelle (mit eisgekühlter Coca Cola und Aircondition) in die Planung mit einzubeziehen. Wenn man Herr Meier und mich selbst in Anna lädt und bei einer der wenigen Weggabelungen 80 Kilometer nach Westen fährt, erreicht man Gascoyne Junction, eine kleine Siedlung mit so einer Segnung der Zivilisation. Hannes war einverstanden. Ach, war das eine gute Idee. Wir blieben gleich 24 Stunden. Die Hamburger, die der freundliche Südafrikaner Omo zubereitete, sind die besten der Welt, die Coca Colas waren himmlisch, und der Aufenthalt im heruntergekühlten Tankstellencafé einfach wunderbar. Romantisch war das nicht wirklich, aber wer will denn schon Romantik. Wir schliefen als einzige auf dem angegliederten kleinen Caravan-Park und erkundeten in den frühen Morgenstunden den nebenan liegenden Kennedy-Nationalpark mit seinen wunderschönen Gesteinsformationen, kehrten aber auf den Mittag in unsere Best-of-best-Tankstelle zurück: Hamburger und eisgekühlte Coca Cola, es war ein Traum. Andere fahren für die Ferien nach Rimini. Wir an eine Tankstelle.
> > Am späten Nachmittag waren die 24-Stunden-Kurzferien aber wieder vorbei. Ich und Herr Meier wurden wieder eingeladen, und es ging zurück zur Stelle, an der wir den Kunstgriff vollzogen hatten: jene Kreuzung in der Nähe eines irgendwo liegenden Hofs in der Halbwüste. Die meisten jener wenigen Höfe verfügen über einen kleinen Kies-Flugplatz neben der Schotterstrasse. Wahrscheinlich landet hier alle paar Monate mal ein Kleinst-Hüpfer. Wir campten am Ende des Rollfelds, na wunderbar, und taten nach dem Kochen das, was wir immer machen: in die Sterne gaffen. Und ein Bier trinken. Anna spuckte zwei der mitgeführten 48 Dosen aus. Nicht ganz so lecker wie an der Best-of-Best-Tankstelle, aber immerhin Bier. Die Dosen waren um die 40 Grad heiss, haha.
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> > Mount Augustus
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> > Es heisst, der Mount Augustus sei der grösste Monolith der Welt, der grösste Fels "am Stück". Er ist zweieinhalb Mal so gross wie der berühmte Ayers Rock, der weiter östlich in der Wüste steht und als der zweitgrösste Monolith der Welt vermarktet wird. Dass der Mount Augustus ein Monolith ist, wird aber stark angezweifelt, und der alte Geologie-Freak Hannes findet genau wie die Autorin meines Reiseführers, das sei ein Witz. So gesehen müsste man also nicht zwingend dorthin. Aber am Fuss des Mount Augustus lag unsere letzte Tankstelle vor Paraburdoo. Und also mussten wir da hin. Im Winterhalbjahr ist das ein Stelldichein von Wohnmobilen und 4x4-Landcruisern, in den paar Hitzemonaten ist es sehr, sehr ruhig. Im Gegensatz zu den bisherigen Tankstellen gibt es in Mount Augustus keine angegliederte kleine Beiz. Tagelang hatte ich mich auf einen frisch zubereiteten Hamburger gefreut, doch damit war leider nichts. Die launische ältere Dame, die ich irgendwo auf dem grossen Gelände fand, knallte mürrisch einen tiefgefrorenen Hamburger in den Mikrowellenherd und kassierte möglichst rasch und möglichst ohne verbale Umschweifungen, ich schien ihr offensichtlich den Tag zu versauen. Ihr Mann schlurfte derweilen über das Gelände und pfiff mich zurück, als ich die paar Schuppen etwas ansehen wollte. Er taute dann aber etwas auf. Er und seine Frau, meinte er, hätten just an jenem Tag ihren letzten Arbeitstag nach fünf Jahren. Jetzt seien sie 70 und längst pensioniert. Ihre beiden Nachfolger seien am Morgen eingetroffen und würden das Ganze am Folgetag übernehmen. Tatsächlich, zwei in Brisbane lebende Engländer tauchten auf, zwei sympathische Novizen auf diesem Bereich. Sie waren drei Jahre mit dem Camper durch Australien gereist und starteten nun eine Saison an der Tankstelle Mount Augustus, mit Caravan-Park, klitzekleinem Laden und allem Drumherum. Mich erstaunte, dass die Übergabe von den alten an die neuen Manager in nur einem einzigen Tag über die Bühne gehen sollte. Immerhin ist das nicht unkompliziert: Bewässerung, Stromversorgung, Gästezimmer, Tankstelle, Warenbestellungen etc etc. Der Versorgungslastwagen kommt nur einmal pro zwei Wochen. Die Tankstelle ist eine einsame Zapfsäule. Sie gab keinen Tropfen von sich, als Hannes am späten Nachmittag eintraf und Anna auffüllen wollte. Der Pensionär meinte, da könne man nichts machen, die Tankstelle sei wohl kaputt, und mit Diesel sei nichts gewesen. Hannes schlug dann vor, dieses Kabel vielleicht dort und dort umzuhängen, jenen Schlauch vielleicht da, worauf der Pensionär den Kopf schüttelte, ach was, die Tankstelle sei nun einfach hinüber. Hannes liess nicht locker, hängte an der Tankstelle alles ein bisschen um und tauschte ein paar Sicherungen aus ... und siehe da, der Diesel begann zu fliessen. Falls er mal seines Jobs in der Schweiz überdrüssig werden sollte, schlage ich vor, dass er eine Karriere als Wüsten-Tankwart beginne. Der Typ war unglaublich: Er hatte soeben schnell die Tankstelle repariert!
> > Nun denn, wir bestiegen am Folgetag den Mount Augustus, immerhin 1150 Meter hoch, man hatte eine tolle Aussicht, und ich muss ja wohl nicht explizit erwähnen, dass wir das am frühen Morgen taten. Wir kehrten am Nachmittag auf unsere frisch reparierte Tankstelle zurück. Die Pensionäre waren am Packen und bereiteten sich auf das allerletzte BBQ vor: Die beiden Alten, die beiden Jungen und der Besitzer, der von irgendwo her kam, assen zum ersten und letzten Mal alle zusammen. Der Besitzer, flüsterten mir die frischgebackenen Manager zu, besitze 10 000 Hektaren Land, er wohne an der Küste. Einer seiner Söhne unterhalte den Hof hinter der Tankstelle. Es gab diverse grosse Scheunen und einen kleinen Hangar für das Privatflugzeug.
> > Wir übernachteten ein zweites Mal und konnten den Engländern eine Packung tiefgefrorenen Lammfleischs abkaufen. Herrlich war es. Am Folgemorgen starteten wir auf die letzten 430 Kilometer bis Paraburdoo. Die Schotterpiste würde nun schlechter sein als bisher, Verkehr noch spärlicher. So war es.
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> > Holperstolper nach Paraburdoo oder die Frage, ob man mit 14 Milliarden Fliegen leben kann
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> > An den ersten drei Tagen seit Mount Augustus sah ich genau zwei Autos, und beide innerhalb von 30 Minuten am selben Tag. Im ersten sass ein Farmer, der mit Windrädern auf seinen 60 000 Hektaren Land 75 Wasserstellen unterhält und rund um jene Wasserstellen Kuhherden stationiert hat. Neben sich hatte er ein geladenes Gewehr. Damit, meinte er, knalle er alle Wildhunde, Füchse, Wildesel und sonstigen Wildtiere ab. Sie würden bloss seinen Kühen das wenige Gras wegfressen. Im zweiten Auto sassen zwei Typen, die unterwegs waren, um den wenigen Farmern neue Kühe zu verkaufen. Das war es: zwei Autos in drei Tagen. Die paar Regenfälle hatten zwar Kies und Sand auf die Oberfläche geschwemmt, doch insgesamt war die Schotterpiste gut zu befahren. Ich kam gut voran.
> > Und trotzdem war es allmählich anders als noch eine Woche zuvor. Im Gegensatz zu früher machte ich kaum mehr eine lange Siesta. Mein Körper hatte sich nach knapp drei Wochen nun offensichtlich ganz gut an die Dauerhitze gewöhnt. Bei den Pausen war ich nicht mehr so schlapp wie zuvor ... und brauchte auch weniger Schlaf. Will heissen: Ich konnte über Mittag höchstens noch eine oder anderthalb Stunden schlafen, anschliessend war Schluss. Die Frage war dann: Was macht der Radler mit der restlichen Zeit? Der Boden ist über 60 Grad heiss, es ist trotz Iso-Matte ein Brutkasten, Lesen geht kaum: Der iPad, auf den ich meine Bücher geladen habe, überhitzt nach kürzester Zeit und gibt den Geist auf. Zudem ist Lesen mit Fliegengitterhut unangenehm.
> > Und somit sind wir beim Thema Fliegen. Ich sage euch, mit der Hitze kann man fertigwerden, mit den Fliegen ist das schon etwas schwieriger. In den letzten Tagen hat sich das Problem massiv verschlimmert.
> > Die Fliegen tauchen beim ersten Licht auf und verschwinden bei eingesetzter Dunkelheit. Die Fliegen-freie Zeit ist täglich von 18.50 bis morgens um 5.50 Uhr. Man könnte die Uhr danach richten. Immerhin hat man bei Dunkelheit also "fliegenfrei". Es ist dies der schönste Moment des Tages: In einem unserer Campingstühle sitzen, ein 40-grädiges Bier schlürfen, kochen, essen und in die vielen, vielen Sterne glotzen. Herrlich.
> > Dass wir morgens bereits kurz nach 5 Uhr aufstehen, hat nicht nur mit der für das Radeln noch günstigen Temperatur zu tun, sondern auch damit, dass man noch fliegenfrei das Frühstück essen kann. Wir kochen dann Tee und machen Müesli. Wehe, wenn man um 5.50 Uhr noch nicht alles gegessen und zusammengeräumt hat. Um 5.50 Uhr setzt der Terror ein. Die Fliegen kommen in Scharen und setzen sich nicht nur auf den Mund, in die Nasenlöcher und die Ohren, sondern auch schamlos auf das Müesli, in den Tee und einfach überall dort hin, wo man sie mit Sicherheit nicht haben will. Vor ein paar Tagen machte ich ein Bild von unserem Frühstückstisch morgens um 5.50 Uhr. Alles war schwarz. Fliegen-schwarz. Ich könnte das noch einigermassen verstehen, wenn wir alles über Nacht draussen gelassen hätten und sich mit der Zeit einfach viele Insekten angesammelt hätten. Aber so war es nicht. Bis 5.45 Uhr war keine Fliege da. Innerhalb weniger Minuten setzt die Invasion ein, wir wandeln ab jenem frühmorgendlichen Zeitpunkt jeweils in einer Glocke von Viechern. Das Frühstücken wird gänzlich verunmöglicht. Ein Dasein ohne Fliegenhut ist nicht mehr möglich, die Biester würden einen wahnsinnig machen. Immerhin, sie stechen nicht.
> > Beim Radeln ist das Problem massiv kleiner. Die meisten kraxeln auf mir und dem Gepäck herum, aber solange ich radle, lässt sich damit leben. Bloss bei jedem Halt wird es schwierig. Essen geht nur, wenn man mit einer Hand ständig die Fliegen wegwedelt. Nun wisst ihr, weshalb ich meine ursprünglich ausgedehnte Siesta seit einigen Tagen verkürzt habe: Nicht nur, weil ich mich an die Hitze gewöhnt habe, sondern auch der Fliegen wegen. Selbst wenn ich im Seidenschlafsack daliege wie ein Sack Kartoffeln (und damit noch heisser habe als eh schon), spüre ich die Füsse von ein paar tausend Fliegen herumpiksen. Immer wieder schleichen ein paar Neukluge unter das Fliegengitter. Das Fliegengitter ersetze ich beim Schlafen und Ausruhen gern mit dem Glarner-Tüechli, das ich einfach um den Kopf wickle. Dann sehe ich nichts mehr und spüre erneut jeden Fussabdruck auf Augen und Nase und Mund. Man liegt da wie eine eingepackte Mumie und weiss nicht, was man tun soll. Also radle ich lieber. 46 Grad am Schatten, Lufttemperatur über 60 Grad, es ist heiss wie die Sau, aber es ist wunderbar, denn beim Radeln gibt es ein bisschen Fahrtwind und weniger Fliegen. Heissa!
> > So. Wenn jemand von euch bislang Lust auf das australische Outback ehabt hat (es muss nicht einmal zwingend per Velo sein), dann bin ich ziemlich sicher, dass sich diese Lust beim Lesen grad eben im Nichts aufgelöst hat. Sorry, guys.
> > Alle Anti-Insekten-Sprays nützen übrigens nichts. Die Sprays sind keinen Dollar wert. Eine Weile lang schienen Moskitocoils zu nützen, zudem hielt Zigarrenrauch die Biester ab. So hatten wir einen hervorragenden Grund, beim Apero eins zu paffen. Aber neuerdings scheint weder der Rauch der Coils noch jener von Raucherwaren zu funktionieren. Kommen wir um 17.30 h zu einem schönen Campingplätzchen im Nirwana, können wir kaum etwas anderes tun, als die anderthalb Stunden bis zum Beginn der Dunkelheit im Campingstuhl sitzend unter dem Fliegenhut zu vertrödeln. Waschen, Kochen, alles ist undenkbar. Hannes hat längst begonnen, sein 40-Grad-Feierabendbier duch das Fliegennetz hindurch zu trinken. Ich bin da etwas zivilisierter (ich trinke ja auch keinen Kaffee wie er) und hebe ganz kurz das Fliegennetz zum Trinken. Aber schnell wieder alles dichtmachen.
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> > Feuer entfachen ist wegen der enormen Hitze strengstens verboten. Hannes ist als Pyroman ständig verführt, am späten Nachmittag ein kleines Freudenfeuer zu entzünden, das würde nicht nur die Seele erfreuen, sondern auch die Fliegen davon abhalten, uns den Nerv zu rauben. Aber bislang reisen wir gesetzeskonform feuerfrei, denn ein Feuer würde wohl auch Anna nicht gut bekommen, und die ist doch mehr oder weniger unsere Lebensversicherung. Nix mit Feuerchen.
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> > Was von der halben Tonne noch übrig bleibt
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> > Am vierten und letzten Tag der 430-Kilometer-Strecke nach Paraburdoo mündete die Schotterpiste in eine Asphalt-Strasse, es war wie Weihnachten. Diverse Autos der nahen Minen zeigten, dass die Zivilisation wieder näher rückte. Doch die Euphorie über die bevorstehende Tankstelle mit eisgekühlter Cola und einem Hamburger wurde irgendwie gehemmt: An diesem letzten Tag hatte ich neue Elektrolyt-Pulver verwendet, die alten waren aufgeputzt, und die neuen schmeckten so grauenhaft scheusslich, dass ich mich halbwegs weigerte, mein Wasser zu trinken. Ob es war, weil ich das neue Pulver nicht vertrug, oder ob es war, weil mein Körper schlichtwegs nicht mehr genug Flüssigkeit erhielt, weiss ich nicht. Tatsache war, dass ich Bauchweh und Durchfall kriegte, mir wurde schlecht, und das gelobte Paraburdoo erreichte ich ziemlich zerfetzt. Aber alles im grünen Bereich. Nach einer halben Stunde auf der öffentlichen Toilette und einer weiteren halben Stunde des Löffelns von einem Liter Gatorade-Energydrink im hinuntergekühlten Shop kehrte ich zu den Lebenden zurück. Ich sagte ja, Tankstellen sind eine geile Erfindung, hurra.
> >
> > Und also sind wir in Paraburdoo, einem kleinen Wüstenkaff. Es gibt hier einen Supermarkt, eine Post, ein Motel, ein paar Häuser und vor allem riesige Minen. In der Apotheke kaufte ich subito wieder die RICHTIGEN Elektroylt-Tabletten.
> > Auch unsere halbe Tonne Vorräte ist insgesamt ziemlich dezimiert. Für die 1000 Kilometer seit dem letzten Supermarkt bis Paraburdoo hatten wir 16 Tage geplant, dank insgesamt gutem Wind und einem gestrichenen Rasttag meisterten wir die Strecke aber in nur derer 14. Kaum erstaunlich also, dass es noch diverse Konserven, Reis und Pasta übrig hat. Insgesamt ist die Planung aber hervorragend aufgegangen. Und ich kann euch jetzt auch genau sagen, welches Obst ohne Kühlung am längsten unbeschadet mitmacht ... und welches ziemlich schnell hinüber ist. Bananen und Birnen sind innerhalb weniger Tage ungeniessbar. Kiwis und Äpfel hingegen sind die Helden: Selbst bei Affenhitze überstanden sie die 14 Tage: Noch am letzten Tag ass ich die letzten frischen Äpfel! Wegwerfen mussten wir praktisch nichts. Bei jeder der vier Tankstellen kauften wir Eis, um den Inhalt der beiden Kühlboxen etwas herunterzukühlen. Innerhalb eines halben Tages schwamm dann alles im Wasser.
> >
> > So, liebe Leute, das war es. Ich sende herzliche Grüsse aus Paraburdoo! Der grosse Gold-Rausch hat leider noch nicht eingesetzt, Hannes ist aber täglich motiviert und optimistisch, mit seinem Detektor das grosse Glück zu finden. "Glück" ist für ihn nicht nur ein 20-Kilo-Goldnugget. Auch kleine Gewehrkugelhülsen, ein Stück Draht, eine Münze oder sonst ein idiotisches Stück verrostetes Metall erfreuen ihn täglich aufs Neue. Er schaufelt täglich bei Affenhitze, wenn der Detektor piepst. Ehrlich gesagt, kann ich das nicht ganz verstehen. Der Hannes ist doch so hinüber wie die Bananen nach vier Hitze-Tagen! Aber mich versteht auch keiner. Gestern fragten mich zwei wildfremde Leute, ob ich der sei, der mit dem Velo im Hochsommer durch das Outback radle. Sie hätten so was von Bekannten gehört. Die Kunde scheint die Runde gemacht zu haben. Also sind alle beide hinüber, hehe, perfekt. Das passt hervorragend.
> >
> > Gefahrene Strecke: Perth/Fremantle - Dongara - Geraldton - Mullewa - Murchison - Mount Augustus - Paraburdoo
> > Gefahrene Kilometer: 1614, davon ca. 850 Kilometer Schotter
> > Gefahrene Höhenmeter (nur bergauf gerechnet) 5262. Es ist sehr, sehr flach!
> > Platten: 3
> >
> > Es geht mir bestens, na klar doch! Einiges ist zwar etwas suboptimal, aber wer will denn schon alles einfach und perfekt haben! Ich geniesse hoppelnde Kängurus, meine eigene kleine Welt und den unglaublichen Luxus, einfach sagen zu können: "Ich bin dann mal weg.". Das ist schön!
> >
> > Liebe Grüsse
> > Kus oder Cusco (je nach sozialem Umfeld)

Ein neues Gesicht: Niklaus, mein Cousin aus Basel, begleitet mich für die zweite Hälfte der Velotour.

Paraburdoo ist eines der grossen Minengebiete Australiens. Mein Herr Meier sieht neben dem grossen Bagger etwas verschwindend klein aus ...

Wanderung auf den Mount Bruce. Selbst hier oben ist ein Fliegengitter Pflicht. Scheissviecher!

Der Karijini Nationalpark ist bekannt für seine tollen Schluchten. Man beachte den Wanderweg ...

Und DAS macht die Schluchten so attraktiv: geniale Badeplätzchen. Und kein Mensch weit und breit!

Grad nochmals so ein cooles Badeplätzchen. Mega!

Die Roadtrains auf den Highways sind riesig: Bis zu vier Anhänger, bis zu 78 Meter lang!

Da sind uns die Schotterstrassen doch noch lieber!

In Marble Bar wurden während 161 aufeinanderfolgenden Tagen Höchsttemperaturen von mindestens 37,6 Grad gemessen. Nationaler Rekord!

In Marble Bar wurde im 19. Jahrhundert auch begonnen, nach Gold zu suchen. Die alte Mine ist längst geschlossen.

Die alten Maschinen stehen noch herum.

Sammelmail 3

Hallo Leute

In dieser dritten Sammelmail schauen wir in ein neues Gesicht und auf riesige Minenfahrzeuge. Dann, Leser, erleidet Anna einen kleinen Schwächeanfall, wir finden ein Hufeisen und suchen nach diesem saublöden Hebel, mit dem man den Benzintankdeckel öffnen kann. Am Schluss, Leserin, beobachten wir Truckdriver und hüpfende Kängurus ... und enden im heissesten Dorf Australiens!
Viel Spass beim geistigen Mitradeln.

 

Ein neues Gesicht

In Paraburdoo schrieb ich euch die letzte Sammelmail, in Paraburdoo traf am klitzekleinen Flughafen ein neues Gesicht ein: Niklaus, mein Cousin aus Basel. Für die zweite Hälfte der Outback-Tour ist er mit dabei. Als Begleiter auf meiner Weltumradlung ist er ein absoluter Novize. Für seine erste Weltumradlungs-Begleitetappe hat er sich eine spezielle Destination ausgesucht. Aus dem Schweizer Winter direkt in den hiesigen Brutkasten, hehe!


Minen, Minen, Minen

Dass Paraburdoo mit mickrigen 1600 Einwohnern über einen kleinen Flughafen verfügt, hat natürlich einen Grund. Paraburdoo wurde in den Sechzigerjahren als Zentrum für die Arbeiter der nahen Eisenerzminen aus dem Boden gestampft. Lange Zeit war der Ort Sperrzone und für das normale Volk geschlossen, doch seit einiger Zeit ist Paraburdoo für jederman zugänglich. Allzu viel zu bieten hat das Kaff nicht. Es besteht aus einem Supermarkt, einer Post, zwei Imbissbuden, einer Apotheke, einer Tankstelle, einem Motel, einer Bar, all den Containern für die Minenarbeiter ... und eben diesem kleinen Flughafen, der komplett der Minenfirma Rio Tinto gehört und von ihr unterhalten wird. Rio Tinto ist die mit Abstand grösste der hier arbeitenden Firmen. Der britisch-australische Bergbaukonzern ist international die Nummer 3 und erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von 40 Milliarden US-Dollar. Eigentlich gehört hier praktisch alles Rio Tinto, nicht nur der Flughafen. Ohne Rio Tinto würde Paraburdoo nicht exisiteren.
Das 80 Kilometer entfernte Tom Price ist der Zwillings-Bruder von Paraburdoo. Alles ist, wenn auch ein bisschen grösser, exakt identisch, bloss Flughafen gibt es der zahlreichen Hügel wegen keinen. Nicht nur in den Minen, auch auf den Strassen und der Schiene weist alles auf das Thema hin. Fast jedes Auto ist mit den Insignien der Minenfirmen ausgestattet: einem gelben Streifen und einem roten Fähnchen. Ab und zu kommt auf der Strasse ein grosses Fahrzeug mit noch grösserer Ladung entgegen und beansprucht die gesamte Strassenbreite. Auf dem Sattelschlepper ist dann jeweils einer jener riesigen Schaufelbagger, dessen Räder allein schon immens sind. Wenn ich Herr Meier neben so ein Ungetüm stelle, sieht man mein Velo eigentlich gar nicht. Auf der Eisenbahnstrecke verkehren ausschliesslich Güterzüge mit Eisenerz. Bis zu vier Kilometer lang sind die Kompositionen, die längste zählte bisher 270 Wagen!
290 Milliarden Tonnen Eisenerz werden in dieser Ecke Australiens, der Region Pilbara, jährlich abgetragen, mit Güterzügen nach Port Hedland und dann mit dem Schiff nach China und Japan verfrachtet, wo Eisen hergestellt wird. Ein Minenarbeiter meinte mal ganz stolz zu mir: "60 bis 67 Prozent des Materials ist verwendbar. Und 85% der Kia- und Hyunday-Autos sind mit Metall aus Pilbara hergestellt!"
In Tom Price wollten wir unbedingt eine der grossen Tagbau-Minen besichtigen. Doch die Dame auf der kleinen Tourist-Information meinte, der Fahrer dieser täglichen Touren sei leider erkrankt, und also gebe es vorläufig keine Sightseeingfahrten. Das war schade. Als Alternative unternahmen wir eine prächtige Wanderung auf den Mount Bruce, den mit 1245 Metern zweithöchsten Berg Westaustraliens, um wenigstens von oben ein bisschen auf die Mine schauen zu können. Es brummte ganz beträchtlich.


Anna's best, Teil 2

Unsere Anna ist nebst dem SOS-Button des Satellitentelefons die Lebensversicherung. Hunderte von Kilometern sehen wir kein Haus und keinen Menschen, Handynetz gibt es keins. Die Anna muss funktionieren. Nun schrieb ich euch, dass die ältere Dame ganz super ist, allerdings auch etwas launisch. Mal funktionieren die Hecktüren nicht, mal lässt sich die Beifahrertür nicht öffnen, aber Hannes kriegt das stets irgendwie wieder hin ... was mich indes kaum überrascht, seit ich weiss, dass er ganze Tankstellen flicken kann. 1000 Kilometer umfasste die Strecke, auf der wir kaum je einen Menschen sahen, 1000 Kilometer im Nirgendwo. Anna fuhr und fuhr und fuhr. Mit dem Erreichen von Paraburdoo und Tom Price tauchten wir ganz kurz in die Zivilisation ein, bevor es wieder im Busch weitergehen würde ... und Anna blieb mitten in der Zivilisation stehen. Die Kupplung war defekt, ein Fahren nicht mehr möglich. Himmelherrschaft. Unsere Anna gab den Geist auf! Aber sie tat dies am absolut perfekten Ort: in der Nähe eines Automechanikers, der postum im fernen Perth gewisse neue Teile bestellte. Samstagnachmittag war es, und die Teile, meinte er, sollten am Montag um 14 Uhr mit einem Truck in seiner Werkstatt eintreffen. Nun hatten wir natürlich für Sonntag und Montag etwas andere Pläne gehabt, als anna-frei herumzulungern, aber das waren reine Luxus-Probleme. Denn primär waren wir Anna enorm dankbar, dass sie diesen kleinen Austritt genau JETZT vollzog und dies nicht eine Woche vorher getan hatte. Ein Stehenbleiben irgendwo im Nirwana des Outbacks, au backe, das wäre sehr, sehr teuer geworden. Wenn das eine oder zwei Wochen zuvor passiert wäre, hätten wir wohl den SOS-Button unseres Satellitentelefons ausprobieren dürfen. Die Rescue-Leute hätten dann schätzungsweise einen Abschleppdienst organisiert, im Outback ist das aber in keiner Versicherung mit enthalten und wird pro Kilometer zu ziemlich stolzem Preis verrechnet. Die Versicherungen wollen sich hier nicht die Finger verbrennen. Wir mochten nicht im Detail ausrechnen, was unsere Heldin Anna uns erspart hat. Klar ist auf jeden Fall, dass wir uns mit dem gesparten Geld für den Rest unseres Lebens an jeder Tankstelle mit gutem Gewissen so viele eisgekühlte Coca Colas einverleiben dürfen, wie uns grad beliebt, hurra. Es kostet einen Bruchteil. Anna ist eine Heldin!


Nägel, Patronenhülsen und ein Hufeisen

Hannes, ihr wisst es, ist täglich mit seinem Metalldetektor auf der Pirsch. Idee ist, möglichst viele Goldklumpen zu finden. Man muss leider festhalten, dass der Gold-Segen weiterhin nicht eingetreten ist. Kein einziges, auch nur klitzekleines Nugget hat Hannes bisher nach Hause gebracht. Aber während andere frustriert wären, zeigt er Abend für Abend bestens gelaunt die Trouvaillen, die er bei Affenhitze mit der Schaufel ausgegraben hat: Alte Nägel, verrostete Patronenhülsen, eine weggeschmissene Aludose oder ein Stück Draht. Sein bisher grösster Fund ist ein altes Hufeisen. Ha, was für ein brilliantes Resultat! Er war stolz auf sein Hufeisen und montierte es subito an Anna, denn Hufeisen bringen ja bekanntlich Glück. Nun scheint das Verhältnis von Fundstücken zum automobilen Wohlbefinden aber leider umgekehrt zu sein. Anna nämlich machte postum schlapp. Das war denn eben der Tag, an dem unser Mädchen den Austritt gab, shit. Zusammengefasst könnte man sagen: Glück beim Metall-Detektor, Pech bei Anna. Nun werdet ihr die Moral der Geschicht schon riechen: Solange Hannes nur Minderwertiges aus dem kargen Boden fischt, fährt Anna perfekt. Findet er etwas halbwegs Brauchbares, reagiert sie mit einer kaputten Kupplung. Ich hoffe nun insbrünstig, dass Hannes um Gottes Willen nie einen Goldklumpen finde, denn Anna würde wahrscheinlich explodieren und bis auf die Felgen abfackeln. Betet bitte alle zum lieben Gott, dass er weiterhin nur rostigen Grümpel finde.


24 Stunden Igor

Während des Sonntags konnten wir bestens herumlungern, doch für 48 Stunden ist Tom Price dann doch etwas allzu langweilig. Es musste ein Mietauto her, um während 24 Stunden den Karijini-Nationalpark besuchen zu können. Ich buchte also online einen Mietwagen der Firma Thrifty für 88 Dollar, abholbar am späten Nachmittag am Flughafen von Paraburdoo. Das ist 70 Kilometer entfernt, und Busse fahren dorthin bloss, wenn ein Flugzeug landet. Was an diesem Sonntag ein einziges Mal der Fall war. Ich fuhr also vom weit abgelegenen Campingplatz mit Herr Meier zur Tankstelle (auf halbem Weg zwischen Campingplatz und Tom Price), parkierte ihn dort und hoffte auf eine Mitfahrgelegenheit per Autostopp. Kaum hatte ich den Daumen draussen, nahm mich ein sympathischer Minenarbeiter mit, ein durchtätowiertes Riesenmöbel von Mann, und bedankte sich am Flughafen dafür, dass ich ihn unterhalten habe. Da ich etwas grosszügig gerechnet hatte, traf ich anderthalb Stunden zu früh dort ein. Alles war offen, der Check-in-Schalter, die Gepäckabgabe, bloss war kein Mensch da. Das war ja vielleicht schräg. Ich las im menschenleeren Flughafen in meinem Buch und verschluckte mich komplett, als ich plötzlich zwei Menschen sah. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Die Areale der paar Autovermietungsfirmen sahen lustig aus, die meisten schienen etwas verwahrlost, aber ich erhielt mein Thrifty-Auto problemlos und taufte es sogleich Igor. Leider vergass ich zu fragen, ob Igor Diesel oder Benzin möge. Ich fuhr die 70 Kilometer mit Igor nach Tom Price zurück. Niklaus hatte in der Zwischenzeit zu Fuss die paar Kilometer zur Tankstelle zurückgelegt und Herr Meier zum Campingplatz zurückgeradelt.
Der automobile Ausflug mit Igor klappte perfekt, wir wanderten in diverse Schluchten des Karijini-Nationalparks und konnten in den dortigen Flüsschen baden, wunderbar.
Etwas komplizierter war dann das Zurückbringen von Igor. Da er am Schluss vollgetankt abgegeben werden muss und es am Flughafen keine Tankstelle gibt, fuhr ich nach dem Ausladen der beiden Jungs von Tom Price direkt ins 80 Kilometer entfernte Paraburdoo. Nun kommt ins Spiel, dass ich als Autofahrer möglicherweise nicht sooooo talentiert bin. Zuerst mal wusste ich nicht, ob Diesel oder Benzin gefragt sei und hoffte, die Angestellte der Tankstelle würde sich vielleicht als Hilfe erweisen, doch war diese Hoffnung etwas gar optimistisch. Aus der grummligen Frau war nichts herauszuholen. Irgendwie hatte ich die leise Vermutung, sie halte mich für einen Idioten. Okay, zurück ins Auto, und nach einigem Blättern im Handbuch und den Vermietungsunterlagen fand ich frohlockend heraus: Es musste Benzin sein. Ich war doch nicht so idiotisch, wie der Tankstellendrache vermutet hatte. Perfekt. Bloss folgte sogleich das nächste Problem: Ich kriegte den Tankdeckel nicht auf, verdammt. Irgendwo musste doch so ein Hebel sein!? Ich suchte vergeblich fünf Minuten. Shit. Ich fand es keine wahnsinnig gute Idee, die Tankstellenlady zu fragen, ob sie eine Ahnung habe, wo sich das gesuchte Teil verstecken könnte, das wäre dann doch etwas allzu peinlich gewesen und hätte sie möglicherweise in ihrer Vermutung bestärkt, der Touri sei ein Vollidiot. Nein, Kus, jetzt stellst du deinen Mann. Also würgte ich mich abermals durch das Handbuch. Nach zehn Minuten fand ich sowohl die gesuchte Stelle im Handbuch als auch den (gut verstecken) Hebel, na wunderbar. Der Tankdeckel sprang auf wie von Zauberhand beglückt, hurra. Doch kein Vollidiot. Dann konnte es ja losgehen. Ich wagte mich zum Drachen vor und winselte, ich hätte gern Benzin. Die Tankstellenlady grunzte: "Sorry, Diesel kannst du haben, aber Benzin habe ich keins. Der Tankwagen hätte eigentlich längst eintreffen sollen." Hä? Das durfte ja nicht wahr sein. Nun wusste ich nach halbstündigem Detailstudium also, dass ich a) Benzin tanken müsste und b) sogar, wie man den verdammten Deckel aufkriegt, bloss war dieses halbstündige Studium absolut für die Katze, denn Benzin GAB es schlichtwegs keins. Die blöde Kuh hätte das auch gleich zu Beginn sagen können. Da hatten wir also ein kleines Problem. Wenn die Autovermietung selbst auftanken muss, bezahlt man stolze 3,5 Dollar pro Liter. Die nächste Tankstelle war 80 Kilometer entfernt in Tom Price. Das war schlichtwegs schon zeitlich nicht möglich, ich hatte etwas Rücklage und musste die Karre sogleich zurückbringen. Also fuhr ich zum Autovermietungscontainer am Flughafen, doch fand ich diesen verlassen vor. Das wurde ja immer besser. Ich wartete 10 Minuten und telefonierte dann auf die angegebene Telefonnummer, doch war diese ungültig. Dann suchte ich in meinen Unterlagen, fand die Telefonnummer der Hauptstelle und telefonierte nach Sydney, was mit meinem Schweizer Handy sicher ganz billig war. Nach zehn Minuten Nummerntippen und endlosem "hold the line" wurde ich verbunden mit einem Herrn, der mich mit dem Kundendienst verbinden wollte, das aber offensichtlich nicht schaffte. Schliesslich brach ich die Übung ab, parkierte Igor und wollte den Schlüssel in den Briefkasten schmeissen, da tauchte gutgelaunt mit 30 Minuten Verspätung eine Autovermietungsangestellte auf. Sie war sich keines Vergehens bewusst, die Aussies sind ja alle immer so relaxt drauf. Ich erklärte, der Tank sei leer, weil die Tankstelle Paraburdoo über kein Benzin verfüge, und da ich annahm, dass der Tankwagen auf derselben Tour auch die Tankstellte Tom Price bedient hätte, ergänzte ich, auch Tom Price biete momentan kein Benzin an. Das war vielleicht ein bisschen gelogen, okay. Aber immerhin logisch gelogen. Oder zweckorientiert. Auf jeden Fall bestätigte mir die Dame, in diesem Fall würde sie pro Liter nur den normalen Literpreis berechnen, und nicht die angedrohten 3,5 Dollar. Das hätten wir. Mir schien, das Schiff komme aus der Schieflage wieder allmählich heraus, hurra. Nun musste ich bloss noch zurück nach Tom Price. Autostopp klappte nicht, es hatte praktisch keine Autos mehr kurz vor dem Eindunkeln. Ich nahm nach dem Eintreffen des fünften und letzten Flugzeugs des Tages den Bus, doch wollte mich der Fahrer an meiner Tankstelle zwei Kilometer vor Tom Price nicht aussteigen lassen. Also bis Tom Price. Dort meinte er, er könne mich auf dem Rückweg an der gewollten Tankstelle absetzen, sodass ich nicht bei Dunkelheit marschieren müsse. Super. Bloss fuhr er, was ich nicht wusste, zuerst noch in eine nahe Mine, um die letzten sechs Passagiere auszuladen. Ich dachte irgendwie an den Buchtitel "Die unendliche Geschichte", sah aber immerhin noch eine Mine bei Nacht, was ganz imposant war, bevor mich der Driver endlich, endlich an meiner (wahrscheinlich benzinfreien) Tankstelle ausspuckte. Dort stand Niklaus' Velo für mich bereit, und per Velo ging es in stockdunkler Nacht auf den Campingplatz. Mission possible. Die Auto-Zurückbring-Aktion hatte nur knappe fünf Stunden gedauert.


Anna's best, Teil 3

Am nächsten Morgen um 6.15 Uhr, kurz nach dem Einsetzen der Fliegen-Invasion, fuhren Niklaus und ich mit den Velos los. Hannes würde um 14 Uhr wie vereinbart die lädierte Anna zum Mechaniker bringen, die Reparatur vornehmen lassen und uns abends auf einem vereinbarten Wüsten-Campingplatz 110 Kilometer weiter östlich treffen. Zur Sicherheit nahmen wir Velofahrer das Zelt und einen Notvorrat an Futter mit, um im Notfall damit zwei Tage überbrücken zu können. Das war eine gute Idee. Denn der LkW, der die benötigten neuen Kupplungs-Teile zum Mechaniker hätte liefern müssen, hatte irgendwo unterwegs einen Breakdown, Anna blieb ergo weiterhin stehen, und der Mechaniker musste eine neuerliche Bestellung in Perth aufgeben ... was ja bloss 1500 Kilometer weit entfernt ist. Hannes blieb nur, weitere 24 Stunden auf dem Campingplatz von Tom Price zu verbringen, was ihn allmählich in die Depression trieb, denn Hannes, muss man wissen, liebt Wüsten, menschenleeres Outback und das Niemandsland. Zivilisation ist für ihn ein notwendiges Übel, das man nur ganz selektiv und für möglichst kurze Zeit beanspruchen sollte im Stil von "tanken, einkaufen, Cola trinken und tschüss". Tja. Niklaus und ich erfuhren per Satellitentelefon-SMS von der Ungemach und campierten auf dem menschenleeren Zeltplatz, auf dem es weder Licht noch Toiletten gab. Wir badeten in einem kleinen See in der nebenan liegenden Schlucht, fantastisch. Bloss das Znacht war etwas gar reduziert, es gab halt nur die Not-Ration. Immerhin konnten wir genügend Flüssigkeit auftreiben: Wie erwartet stand zehn Kilometer entfernt ein Container und bot abgestandenes, etwas übel riechendes Wasser.


Roadhouses und Roadtrains

Am Folgetag fuhren wir bei ziemlicher Hitze durch attraktive Hügellandschaft und kamen dann für kurze 40 Kilometer auf den grossen "Great Northern Highway", die grosse Asphaltstrasse durch den australischen Westen. Diese Strasse umgehen wir bei Möglichkeit und ziehen Schotterpisten vor. Auf diesen 40 Kilometern liess sich das aber nicht einrichten. Vorteil war, dass wir dank des grossen Highways in den Genuss von einem Roadhouse kamen. Ein Roadhouse ist eine Tankstelle am Rand einer grossen Strasse mit einer kleinen Beiz, einem meist einfachen Shop, Unterkünften, Campingplatz und Duschen. Dabei sind nicht in erster Linie Touristen die Zielgruppe, sondern die Fahrer der immensen Lastwagen, die man hier "Road Trains" nennt: die Züge der Strasse. Unglaublich, was für Riesenteile hier die grossen Strassen befahren. Ein Roadtrain kann ohne weiteres drei riesige Anhänger haben. Eine Komposition hat dann oft 21 Achsen und ist bis 78 Meter lang. Die Fahrer sind meistens sehr freundlich und überholen oft nur, wenn es wirklich genug Platz hat auf der Strasse, aber man muss als Velofahrer stets auf der Hut sein. Manchmal kommen die Trucks schlichtwegs zu schnell und könnten auch bei gutem Willen gar nicht halten. Wie so oft ist ein Rückspiegel hier die beste Vorsorge: Bei Bedarf fahre ich prophylaktisch in den Strassengraben. Aber wie gesagt, im Normalfall fahren wir nicht auf Strassen, auf denen Roadtrains verkehren.
Nun waren wir in so einem Roadhouse und konnten all die riesigen LkWs bestaunen. Die Logisitk einer Tankstelle, die Roadtrains bedient, ist anders dimensioniert als die einer Tankstelle für normale PWs. Die Roadtrains brauchen immens Platz! Und die Fahrer sind meist originelle, ziemlich schräge Typen. Da sich an den Roadhouses nicht nur schräge Truckdriver, sondern auch ebenso schräge Minenarbeiter treffen, sind das wunderbare Orte, um sich an lustigen Leuten zu erfreuen. Die meisten scheinen nicht allzu häufig Duschen und Waschmaschinen für ihre Kleider zu benutzen. Bei einigen dieser Leute kommt man auch in Versuchung zu vermuten, dass sie wohl nicht viele Jahre ihres Lebens gesund gelebt haben, aber die sollen machen, was sie wollen, und sie vermitteln alle einen ausgesprochen fröhlichen Eindruck. So falsch kann ihr Lebensstil also nicht sein.
Da waren also Nik und ich in so einem Roadhouse und fanden es gar nicht schlimm, dass Anna Verspätung hatte. Das war ja so spannend hier.
Im fernen Tom Price traf am Nachmittag der Ersatz-LkW aus Perth ein, doch die Reparatur, die zack-zack hätte ausgeführt werden sollen, zog sich bis abends um 20 Uhr hin. Aber immerhin: Anna war genesen, hurra! Hannes fuhr mit seiner Campingplatz-Überdosis irgendwo in die Wüste, um mausbeinallein zu übernachten, und traf uns am späten Nachmittag des Folgetags im Roadhouse. Da waren wir also wieder alle vereint. Fünf Tage hatte uns Anna etwas in Schach gehalten, doch will ich mich nicht beklagen. Nik und ich kamen im Roadhouse dank Annas kleinem Schwächeanfall in den Genuss von einem Tag Ferien, und erst noch an so einem spannenden Ort.


Kakadus und Kängurus

Die häufigsten Tiere, die wir sehen, sind wenig überraschend die Fliegen, weit abgeschlagen auf Rang zwei folgen die weissen, hellgrauen oder rosafarbenen Papageien, genannt Kakadus. Die sind putzig und futtern ständig Eukalyptusblätter. Die Kängurus sind ziemlich scheu. Man sieht fast täglich am frühen Morgen welche über die Piste hoppeln. Sie machen sich aus dem Staub, sobald sie uns erblickt haben. Auf dicht befahrenen Strecken liegen sie oft mausetot im Strassengraben, überkarrt von den LkWs und Autos. Zu Beginn der Reise, auf der Asphaltstrasse von Perth nach Geraldton, war das Verhältnis von lebendigen zu toten Kängurus so im Bereich von 1:20, auf den hiesigen Schotterpisten ist es glücklicherweise umgekehrt. Insgesamt sieht man während des Tages nicht allzu viele Tiere, denn auch alle anderen sind scheu und ziehen sich während der Hitze an die Schattenplätze zurück. Im Morgengrauen oder der Dämmerung sieht man dann und wann Wildhunde, Wildesel, Wildgänse und wunderschöne Echsen. Die grössten sind wohl etwa einen Meter lang. Einige sind kräftig und dick, andere sehen eher aus wie filigrane Schlangen mit vier Füssen. Bei den Schlangen verhält es sich wie mit den Kängurus auf Asphaltstrassen: Man sieht fast nur tote. Neulich lag ein ziemlich stolzes Stück auf dem Teer, und ein Einheimischer bestätigte aufgrund der Fotos, dass es sich dabei um eine Python gehandelt habe. Ab und zu jagen einem die Einheimischen einen kleinen Schrecken ein, indem sie sagen, es gebe in der Region die "Braune Königin", die einen Menschen in 30 Sekunden zur Strecke bringe. Aber mit etwas Vorsicht lässt sich das Schlangen-Risiko sehr, sehr klein halten. Die Wahrscheinlichkeit, dass man der vielen Fliegen wegen einen Nervenzusammenbruch erleidet, scheint mir wesentlich grösser zu sein.


Marble Bar

Das kleine Nest im Nodwesten Australiens hält den nationalen Rekord, was die Temperaturen anbelangt. Während 161 aufeinanderfolgenden Tagen zeigte hier das Thermometer mindestens 37,6 Grad Celsius. Somit ist der Slogan des Dorfs "The hottest town in Australia". Hier sind wir, in Marble Bar! Während der heissesten Zeit des Jahres durch diese Region durchzuradeln, ist sicher nicht der Wunsch aller. Aber ich kann euch versichern: Die Temperaturen haben deutlich abgenommen. In der letzten Mail hatte ich noch von 45 Grad am Schatten geschrieben, in den letzten zehn Tagen ist es aber deutlich kühler geworden, will heissen, es wurde kaum mehr über 41 oder 42 Grad. Der erste und bisher letzte grosse Regen dieses Sommers (die Regenzeit dauert von Dezember bis März) brachte eine grosse Ladung Niederschlag und eine ganz angenehme Abkühlung, sodass ich während der regnerischen Nacht sogar wieder einmal den richtigen Schlafsack benutzte ... was ansonsten seit Beginn der Reise nicht mehr der Fall war.
Marble Bar ist indes nicht nur in Sachen Temperaturen ein nationaler Begriff, sondern auch hinsichtlich des Goldrauschs. Ende des 19. Jahrhunderts hatte man hier die ersten Goldvorkommen ausfindig gemacht, und in den folgenden paar Jahrzehnten wurden in unterirdischen Stollen ein paar Hügel durchlöchert. Etwas ausserhalb des Dorfs liegt die alte Mine. Jede Menge verrostete, alte Wägelchen, Maschinen und Werkzeug stehen noch herum. Ein achzigjähriges Männchen führte uns mit Begeisterung durch das klitzekleine Museum ... kein Wunder, wir waren die ersten Besucher des Tages ... und wahrscheinlich auch die einzigen. Wer kommt denn schon Mitte März nach Marble Bar!


Gefahrene Kilometer: 2246
Gefahrene Höhenmeter (nur bergauf gerechnet): 8403 (es ist weiterhin sehr flach)
Bisherige Route: Perth/Fremantle - Dongara - Geraldton - Mullewa - Murchison - Mount Augustus - Paraburdoo - Tom Price - Karijini Nationalpark - Auski - Nullagine - Marble Bar
Bisherige Platten: 3

Herzliche Grüsse aus dem heissesten Ort Australiens! Alles in Butter, es geht mir bestens!

Liebe Grüsse
Kus oder Cusco (je nach sozialem Umfeld)

 

Das ist ja vielleicht ein tolles Plätzchen!

Zurück auf Asphalt. Es geht Richtung Broome.

Dank eines Hurrikans bleiben unsere Strassen leer. Coole Sache. Nur die Verpflegung ist etwas suboptimal. Täglich Getreideriegel bis zum Abwinken.

100 000 Weltumradlung-Kilometer, wow!

Am Ziel, hurraaaaaaaa!

Letzte Tage in einem Backpacker in Broome. Gepäck reinigen, packen, baden, feiern.

Hannes' Sohn Nathan kommt angeflogen und übernimmt unsere Anna für die nächsten zwei Monate. 

Alles perfekt!
Schön war's! 

Sammelmail 4

Hallo Leute

Heute wollen wir, Leserin, den Aufseher ins Schwimmbad begleiten, den Aboriginals über die Schultern schauen und eine heisse Nacht durchleben, um dann Hals über Kopf aus Port Hedland zu fliehen. Dann, Leser, regen wir uns kollektiv über Getreideriegel auf, baden im eigenen Schweiss, erreichen eine coole Zahl und radeln nach Broome, ans Ziel, hurra!


Der Aufseher

Marble Bar war uns schnell ans Herz gewachsen. Das 350-Seelen-Dorf wartete mit enorm freundlichen Leuten auf. Uns erstaunte, dass sehr viele Pensionäre da waren: die Campingplatzverwalter, die Ladenbesitzer, die Gemeindeangestellte ... alle wohl über 70, und alle äusserst hilfsbereit. Der Aufseher im öffentlichen Schwimmbad war da eine Ausnahme, er mochte knappe 50 sein. Er habe einen easy Job, meinte er, das sei perfekt, denn er arbeite sowieso nicht gern. Er verbrachte viel Zeit des Tages im Pool sitzend, immer mit Fliegenhut auf dem Kopf, und wenn er etwas erledigen musste, tat er das mit meditativer Langsamkeit. Als ich am späten Nachmittag das Schwimmbad aufsuchte, waren nebst dem Aufseher nur grad zwei Buben da. Als sie abzogen, war ich kurz allein, dann folgten ein Aboriginal sowie ein einarmiger und ein zweiarmiger Mann, die mich freundlich einluden, Wasserball mit ihnen zu spielen. Dass Aboriginals eine Badehose im Pool tragen, scheint nicht immer der Fall zu sein. Hannes war am Folgetag seinerseits im Schwimmbad, und eine Horde Aboriginals stürzte sich da ohne Schuhe, aber mitsamt all ihren Kleidern in den Pool. Den Aufseher störte das nicht im geringsten. Reklamieren hätte ja wohl Mehrarbeit bedeutet, und wer will das schon.


Aboriginals

Mit den Aboriginals verhält es sich ähnlich wie mit den Indianern in Nordamerika. Gross in Kontakt mit ihnen kommt man nicht, und wenn, dann bietet sich ein wenig erquickendes Bild. Aboriginals sieht man primär an den wenigen Tankstellen und Shops. Viele sind übergewichtig und sehen verwahrlost aus. An einigen Tankstellen werden die alkoholischen Getränke unsichtbar in einem Nebenraum aufbewahrt. Die Aboriginals sollten nicht sehen, dass es Alkoholika gebe, meinte die Tankstellenverkäuferin, und streckte uns die paar gewünschten Dosen Bier gut versteckt in einem Plasticsack über den Tresen. An einer anderen Tankstelle meinte die Angestellte, Aboriginals dürfe sie grundsätzlich nichts Akoholisches verkaufen. Sie würden es kaum vertragen und sogleich betrunken werden. Viele Weisse warnen uns. Wir sollten vorsichtig sein, meinen sie, und unsere Wertsachen nie herumliegen lassen, wenn Aboriginals in der Nähe seien.
Das Bild, das man auf alten Bildern von diesen Ureinwohnern Australiens erhält, ist indes ein ganz anderes. Stolz präsentieren sie sich mit prächtigen Bemalungen und Kleidern. Es ist traurig zu sehen, was von diesem Stolz noch übrigbleibt. Die heutigen Aboriginals leben meist in Reservaten. Ihre traditionelle Lebensweise ist kaum mehr möglich, seit die Weissen die Insel umorganisiert und reformiert haben. Ein eindrückliches Beispiel der nicht sehr feinfühligen, weissen Überheblichkeit zeigt sich an einem Berg bei Tom Price. Der Berg hat einen Aboriginal-Namen wie all die anderen Berge. Als die Weissen eintrafen, tauften sie den Berg "Mount Nameless" ... als ob sie nichts anderes wüssten, als ihn den Namenlosen zu nennen. Das ist nicht nur sehr unkreativ, sondern auch ein Affront gegen all die Einheimischen, die seit Jahrhunderten einen Namen für dieses Heiligtum haben. Dass ganze Berge mit Bulldozern wegen des Eisenerzes abgetragen werden, ist für sie natürlich ein weiterer, noch weit stärkerer Schlag ins Gesicht.
Neulich erblickte ich ein stehendes Auto mitten auf der Schotterpiste, und eine ganze Aboriginal-Familie stand rund um das Gefährt herum. Ich vermutete, das Auto habe eine Panne. Obwohl ich als Mechaniker nichts tauge (ich suche ja bekanntlich stundenlang, wie man den Tankdeckel überhaupt aufkriegt), fragte ich, ob ich irgendwie helfen könne. Der Chef bedankte sich und meinte, nein nein, alles sei in Ordnung. Doch wie zum Kuckuck, überlegte ich mir, haben denn all diese Menschen in einem einzigen Auto Platz? Hatte es wegen Übergewicht den Geist aufgegeben? Einige der Erwachsenen brachten das Dreifache von mir auf die Waage. Von Familie zu sprechen, war vielleicht sowieso nicht ganz korrekt. Entweder es war ein ganzer Clan mit Grossmüttern und so, oder es waren noch Nachbarn und Bekannte beim Fährtchen mit dabei, auf jeden Fall waren es enorm viele Menschen, überall hüpften und schlichen noch Kinder herum, und all diese endlose Anzahl von Lebewesen stopfte sich nun wieder in das Auto, sodass ich zum Staunen nicht herauskam, und das Auto fuhr vollgestopft davon.
Unsere australischen Nachbarn auf einem anderen Campingplatz unterschieden sich wesentlich von den meisten anderen weisshäutigen Landsleuten, denn sie warnten uns nicht vor den Aboriginals, die klauen und herumlungern würden, sondern meinten zu uns: "Wenn ihr irgend etwas wissen wollt über die hiesigen Tiere, die Pflanzen und all die Zusammenhänge der Natur, dann geht zu den Aboriginals. Die wissen alles!"


Heisse Nächte

Meist präsentiert sich Abend für Abend das gleiche Bild: mitten im Busch unsere Anna, das Zelt und ein fantastischer Abendhimmel mit opulenten Farben und Formen. Malte man ein Bild exakt nach Vorlage, würde man es als völligen Kitsch empfinden. Aber so ist es: täglich eine neue Hammerstimmung am Firmament! In dieses Spektakel am Nachthimmel zu blicken, ist täglich ein opulenter Höhepunkt.
Zu dritt ist die Logistik des Nächtigens stets ein bisschen anders als zu den Zeiten, als wir noch zu zweit waren. In der ersten Hälfte der Reise nächtigten Hannes und ich stets beide im Auto, nun stellen wir zusätzlich noch das Zelt auf. Meist gibt es auch während der Nacht ein bisschen Wind, dann ist sowohl im Zelt als auch im Auto alles in Ordnung. Doch wenn Windstille herrscht, gerät man schnell in Hitzestau. Vor allem im Zelt ist es dann unendlich heiss, sodass man im eigenen Schweiss liegt und vor sich hin tropft. Natürlich kann man alle Eingänge öffnen, doch hat man dann sofort die Mücken am Hals. Im Outback gab es zwar 24 Milliarden Fliegen zu beklagen, nicht aber nächtliche Mücken. In Küstennähe ist das anders. Die Fliegenplage ist hier deutlich weniger, doch kommen nun sowohl Stechmücken als auch kleine, stechende Fliegen dazu. Zehen und Hände gehören zu den bevorzugten Jagdgründen der kleinen Viecher, die Hände schwellen dann an und jucken ganz höllisch. Immerhin fand ich mit der Zeit heraus, wie sich das nächtliche Leben optimieren lässt. Ich spraye nicht nur das Zelt und meinen Körper mit Anti-Insektenmittel ein, sondern schmiere auch eine Verstauchungssalbe auf Hände und Füsse, sodass sie gekühlt werden. Das klappt ganz gut. Aber angenehm sind diese windfreien Nächte nicht.


Exodus aus Port Hedland

Wir kauften in Marble Bar ein bisschen was ein und starteten auf die Zweitagesetappe nach Port Hedland. Zuerst verlief die Strecke an die Küste noch durch attraktive Hügelchen, bald aber präsentierte sich die Landschaft flach und äusserst wenig abwechslungsreich nach dem bestens bekannten Muster "links Busch, rechts Busch". Tja. Spannend war das nicht, aber egal, wir hatten ja Port Hedland vor uns. Zu erwarten, hier tanze der Bär, wäre wohl etwas hoch gegriffen gewesen, aber immerhin, in Port Hedland wird all das Eisenerz von den immensen Zügen auf Schiffe verladen. Wir freuten uns auf den emsigen Trubel dieser Hafenstadt mit 12 000 Einwohnern ... die mit Abstand grösste Siedlung seit vier Wochen. Als wir dort eintrafen, zeigte sich der "emsige Trubel" tatsächlich, allerdings nicht ganz so, wie wir dies erwartet hatten. Hurrikan "Veronika" war im Anzug und näherte sich der Stadt. Wenn sich die Situation weiter verschlimmere, meinte die Campingplatzdame, würde der Ausnahmezustand über die Stadt verhängt. Der Campingplatz werde dann geschlossen, und wir müssten zusammen mit versifften, alkoholisierten Aboriginals eine Notunterkunft aufsuchen. Es könne dann schon mal vier oder fünf Tage dauern. Der Campingplatz war zu vier Fünfteln leer, und wer noch da war, schien am Packen zu sein. Zwei Australier meinten, sie würden in ein paar Stunden mit dem Flugzeug fliehen, andere planten den Exodus per Auto möglichst nach Norden. Hannes fuhr zur Tourist Information, um diverse Informationen einzuholen, doch die Dame dort war grad dran, den Laden dicht zu machen und meinte vollends hysterisch, sie renne um ihr Leben, Hannes solle sich gefälligst aus dem Staub machen und seine eigene Haut retten. Andere nahmen es bedeutend lockerer. Australien hat schon andere Hurrikane überlebt. Im Supermarkt präsentierten sich viele, viele leere Gestelle. Die Leute kauften, was man noch auf die Schnelle kaufen konnte. Trinkwasser und Frischwaren waren alle weg.
Ich muss sagen, mir gefiel die Idee, so ein Hurrikan-Prozedere mal live mitzuerleben, doch entschieden wir uns, die Gefahrenzone zu verlassen und mit Anna 140 Kilometer weiter nach Nordosten in das "Roadhouse Pardoo" zu fliehen, solange das noch möglich war. Von hier aus hätten wir alle Optionen offen, je nach dem, wie sich der Hurrikan am Folgetag entwickeln würde. Etwas erschwerend für sämtliche Entscheide war sicher das geplante Eintreffen von Nathan: Hannes zwanzigjähriger Sohn war in der Schweiz bereits am Packen. Er würde ausgerechnet nach Port Hedland fliegen, eine Woche als vierter Kopf mit uns verbringen und dann Anna für zwei Monate übernehmen. Er hatte sich für den Flug nach Port Hedland den allerdoofsten Tag ausgesucht. Er hatte zeitlich voll ins Schwarze getroffen, gratuliere.


Pardoo Roadhouse

Alle Tankstellencampingplätze und Roadhouses haben ihre eigene Handschrift. Die meisten sind sauber gepützelt und präsentierten sich in hervorragendem Zustand. Das Pardoo Roadhouse ist da ein bisschen anders. Im Swimming Pool schwimmen kaputte Plasticstühle, das angegliederte Gifthüttchen mit all dem Chlor und den Chemikalien ist halb kaputt für jederman frei zugänglich, alles ist ziemlich versifft, rund ums Camp stehen Dutzende ausgebrannter Autos und Busse, der Rasen wird wohl nur sehr sporadisch geschnitten. Trotzdem mochten wir den Ort. Den Namen des indischen Besitzers kannten wir nicht, aber wir nannten ihn Ganesh. Gäste gab es nur wenige, denn die meisten fuhren noch viel weiter aus dem Hurrikangebiet heraus. Wir legten im Pardoo Resthouse zwei Tage ein und warteten, wie sich alles entwickeln würde. Somit war es also wie so oft: Ferien an der Tankstelle. Wir verbrachten die Tage mit Nichtstun und Abwarten. Bei der zweiten Nacht machten wir alles dicht, verklebten Annas Fenster, banden die Velos fest, denn Veronika würde möglicherweise mit bis zu 160 km/h über die Ebene fegen. Der Flughafen wurde in der Zwischenzeit geschlossen, Port Hedland mehr oder weniger evakuiert, und die Polizei kündigte an, auch die Strassen dichtzumachen. Im Pardoo Resthouse wurde es immer ruhiger. Autos kamen bald keine mehr vorbei, Gäste hatte es keine. Wir waren allein auf dem Camp mit Ganesh und dem französischen Traveller hinter dem Tresen, den ausgebrannten Autos rund um uns herum und den Plasticstühlen im Swimmingpool. Wahrlich ein schönes Plätzchen, hurra.

Da kam Ganesh angebraust und meinte, wir müssten sogleich Leine ziehen, die Polizei habe die Räumung des Roadhouses beordert. Obwohl wir uns fast 180 Kilometer östlich des Hurrikans befanden, wurde auch jenes Gebiet nun gesperrt. Nathan steckte in der Zwischenzeit auf Bali fest. Er teilte per WhatsApp mit, seine Ankunft sei Veronika-bedingt drei Tage später in Broome statt in Port Hedland.


Nun muss man wissen: Vom Roadhouse Pardoo sind es noch 460 Kilometer nach Broome, die einzigen beiden Häuser auf dieser Strecke sind zwei Roadhouses, wobei das zweite der beiden nur grad 30 Kilometer vor dem Ziel liegt. Zusätzlich gibt es noch zwei Rastplätze mit Toiletten, aber ohne Wasser. Wir fuhren mit Anna zum zweiten dieser beiden Rastplätze, 200 Kilometer Richtung Osten. Die Gegend ist flach, flach und flach. Links Busch, rechts Busch. Verkehr hatte es keinen, denn niemand wollte in den Hurrikan hinein fahren, und niemand kam dort auch mehr heraus, zumal ja alles gesperrt war. Bald schien uns, wir seien die einzigen weit und breit.


Die ultimative Getreideriegel-Überdosis
oder der grosse Showdown zum Schluss

Hannes verabschiedete sich mit Anna und fuhr nach Broome, um seinen Sohnemann in Empfang zu nehmen und mit ihm ein paar Tage im Norden zu verbringen, Nik und ich würden die letzten fünf Tage dieser Velotour ohne ihn und ohne Anna verbringen. Wir hatten also das Zelt und insgesamt mehr Material dabei als üblich. Auf einen Kocher verzichteten wir, denn drei von vier Nächten würden wir in Roadhouses mit Beizen verbringen. Somit nahmen wir nur Tagesproviant für ein paar Tage mit. Alles war tiptop vorbereitet, da konnte nix schief gehen. Und Veronika hatte sich ja beruhigt.
Wir fuhren einen Tag lang durch den topfebenen Busch (links Busch, rechts Busch), genossen wunderbaren Rückenwind und lachten hämisch beim Gedanken, wie beschissen es wäre, wenn wir diese Strecke rückwärts fahren müssten, haha. Aber nichts dergleichen. Wir fuhren in die richtige Richtung, hurra.
Die böse Überraschung folgte am Abend im Roadhouse. Nicht nur lagen wir abends im eigenen Schweiss gebadet im Zelt und nervten uns über die Steckmücken, stechenden Fliegen und fliegenden Heugümper, die einen attackierten, nein, wir waren etwas konsterniert über Veronika, die offensichtlich nochmals zugeschlagen hatte und diverse Strassen im Regenwasser verschwinden liess. Die Gegend vor uns lag unter Wasser. Ein Weiterradeln in geplanter Richtung wäre nicht möglich gewesen. Diese ganze Scheiss-Strecke durch den flachen Busch, die wir nun angeradelt kamen, diese 100 Kilometer mussten wir wieder zurück, und dann grad nochmals 210 Kilometer durch ebensoflachen, ebenso monotonen Busch. Ihr kennt es: links Busch, rechts Busch. Oh no.
Gegen den Wind, caramba. Und das Übelste war: Wegen des Streckenwechsels hatten wir nun plötzlich die Situation, dass wir für 280 Kilometer keine Wasserstelle und kein Haus vorfinden würden. Zwei Rastplätze waren das einzige, das wir in den folgenden drei Tagen auffinden würden. Dort hat es Toiletten, einen Tisch mit Bänken und ein Schatten spendendes Dach drüber.
Im Roadhouse gab es kaum etwas zu kaufen ausser Pommes Chips und Kaugummi. Wir trieben einen leeren 15-Liter-Tank auf, füllten ihn und meine beiden 9-Liter-Wassersäcke sowie sämtliche Flaschen. Das konnte ja lustig werden.
Wir standen schweissgebadet um 4 Uhr auf, assen Getreideriegel zum Frühstück bei stockdunkler Nacht und starteten um 5 Uhr mit je 29 Liter Wasser im Gepäck. Noch nie auf Weltumradlung hatte ich 29 Liter Wasser dabei, das ist echt ein neuer Rekord. Und er kam ganz unerwartet durch die Hintertür.

Nun muss man wissen, dass mich mit Getreideriegeln eine jahrelange Hassliebe verbindet. Getreideriegel der Marke "Farmer" begleiteten mich durch meine Jugend bis zum Abwinken, und als ich die Nase voll davon hatte, wechselte ich gezwungenermassen auf "Balisto", was eine geringfügige Verbesserung der Situation mit sich brachte. Ob Farmer oder Balisto, es waren stets die Not-Rationen. Wenn es denn wirklich nichts Anständiges mehr zu essen gab, dann futterte man halt zur Not so einen doofen Getreideriegel. Und in Australien, das muss gesagt sein, schmecken die Getreideriegel noch schlechter als in der Schweiz. Mir scheint, die Hälfte der Riegel schmecke nach Kaffee. Kaffee ist nach der Atombombe die zweitschrecklichste Erfindung der Menschheit, und also kann kein zivilsierter Mensch australische Getreideriegel essen. Aber wir hatten diverse mit dabei. Als Not-Ration für äusserste Notfälle. Und dieser Notfall trat also bereits am ersten von drei Tagen frühmorgens ein. Welcome to happyness.
Über die folgenden Tage gibt es eigentlich nicht soooo viel zu sagen. Zur Strecke könnte man sagen: Busch, Busch, Busch. Zur Hitze könnte man sagen: Heiss, heiss, heiss und gleichzeitig subtropisch feucht, feucht, feucht, sodass mir der Schweiss beim Radeln im Sekundentakt von den Ellenbogen auf den Boden tropfte. Die Velohandschuhe konnte ich schon morgens um 8 Uhr auswringen, als hätte man sie vorher in ein Wasser-Fett-Gemisch getaucht. Die 29 Liter Wasser pro Person beinhalteten nur einen verschwindend kleinen Anteil für Körperhygiene. Wenn man sich abends mit 1 Deziliter Wasser wäscht, ist das nicht wirklich ein Reinigungsprozess, viel eher verreibt man die Schweiss-Sosse einfach auf den ganzen Körper, nachts kommen noch Antibrumm-Insektenmittel und kühlende Verstauchungssalbe dazu, damit man vor Hitze nicht die Schraube macht, und also schwitzt der Körper am folgenden Morgen nicht nur frischen Schweiss aus den Poren, sondern schwemmt auch noch die ganze Ladung von Antibrumm und Verstauchungssalbe in die Handschuhe. Jetzt wisst ihr, weshalb die Handschuhe nebst den Velohosen das grässlichste Kleidungsstück sind. Schalten kann ich mit ihnen kaum mehr, denn sie sind so seifig, dass man auf Gummi und Metall nur einfach abschleift.
Zum Verpflegungskonzept dieser drei Tage lässt sich zusammenfassen: Trockenfutter und Getreideriegel zum Frühstück, zum Znüni, zum Zmittag, zum Zvieri und zum Znacht. Nach zwei Tagen hatte ich bereits die ultimative Überdosis.
Wir starteten in den beiden Folgetagen bereits um 4 Uhr, um von den mässigen Temperaturen bei Nacht profitieren zu können. Es herrschten dann meist etwa 25 Grad. Die Tagesetappen waren durch die Rastplätze gegeben. Man konnte nirgends Schatten finden ausser dort. Am zweiten Tag hatten wir die mickrigen 60 Kilometer bereits morgens um 9.15 Uhr abgetrampelt. Uns blieb nur, die restliche Zeit unter dem Schattendach zu vertrödeln und Getreideriegel zu futtern. Anderes hatten wir kaum mehr. Ich sagte ja: Welcome to happyness.

Aber es gibt durchaus auch Positives zu berichten. Wir fuhren auf dem "Northern Highway", einer durchwegs asfaltierten Hauptstrasse der Nordwestküste entlang. Im Normalfall ist die Strasse stark befahren, vor allem die grossen Roadtrains brummen dann an einem vorbei. Da aber weiter im Westen die Strasse unter Wasser lag, hatten wir die wunderbare Situation, dass wir uns praktisch allein auf dieser Strasse befanden. Keine Autos, keine Roadtrains. Selbst bei Nacht fuhr man absolut sicher. Über uns kreisten Hunderte von Milanen, Falken und anderen Greifvögeln, die wohl vor dem Hurrikan nach Osten geflüchtet waren. Und der Sternenhimmel bei Nacht, der war fantastisch. Längst schliefen wir nicht mehr im Zelt, wir stellten es gar nicht mehr erst auf. Da drin kriegte man Atemnot und die Krise. Wir schliefen auf dem Betonboden der Rastplätze, allenfalls mit dem Fliegenhut über dem Kopf. Die Mücken waren das kleinere Übel als die abgestandene Hitze im Zelt. Die Autos dieser fünf Tage konnte man an zwei Händen abzählen. Zum Helden avancierte einer dieser wenigen Autofahrer, der bei einer Rastplatztoilette einen Pipi-Halt für sich und seine Mitfahrer einlegte: Er schenkte uns zwei Dosen kühles Bier. Das Highlight des Tages!

Die Tage vier und fünf fassten wir am Schluss zu einem einzigen Tag zusammen. Bereits bei Sonnenaufgang hatten wir 45 Kilometer hinter uns gelegt, hurra, und am Ende waren wir am Ziel der Reise, in Broome, hurra. Hier sind wir. Hier gibt es Supermärkte mit wunderbaren Fressalien. Und eines sage ich euch: Ich esse nun dreissig Jahre lang keinen Getreideriegel mehr.


100 000

Einen absoluten Höhepunkt irgendwo im Busch habe ich euch noch vorenthalten.
Mitten im Nirwana überradelte ich meinen Kilometer x, der mich wissen liess: Jetzt, genau jetzt, habe ich genau 100 000 Weltumradlungskilometer abgetrampelt, hurra. 100 000, was für eine tolle Zahl! Ich freute mich wie ein kleines Kind. Lassen wir den kleinen Dämpfer namens Getreideriegel mal weg, der hat nur kurze Beine. Dann lässt sich ehrlich sagen: Kein bisschen der Begeisterung für mein Weltumradlungsprojekt habe ich bislang auf der Strecke gelassen. Die Begeisterung ist ungebrochen. Und dass ich auch als nicht mehr ganz junger Mensch einfach so pedalen und mich fortbewegen kann und dabei einfach Glück und Zufriedenheit verspüre, das ist einfach nur eines: schön!

So, Leute, das wäre es von Etappe 30.
Es war die Etappe mit der grössten je erfahrenen Hitze. Es war die flachste aller Etappen. Es war die Etappe mit dem Rekord, was das Wasser anbelangte: Bis zu 10 Liter trank ich jeweils während eines Velotages. Und noch nie habe ich mehr als 29 Liter Wasser auf mein Velo geladen. Es ist die Etappe mit den meisten Fliegen. Letztendlich ist es auch die bislang einzige Etappe, die ich mit einem Begleitfahrzeug absolviert habe. Cool war's!

Bilder dieser Reise und sämtliche Texte findet ihr noch eine Weile auf dem Blog meiner Internetseite www.bikeforever.ch.
In ein paar Wochen wird dann die ganze Etappe 30 in die Internetseite integriert sein.

Selbstverständlich plane ich längst die nächsten Etappen. Sie dürften ab 2020 nach Alaska/Westkanada und von Singapur nach Indonesien führen. Denn nach der Reise ist vor der Reise.
Nun wird noch etwas Material geputzt und ausgeruht. Anna haben wir geputzt, wir übergeben sie nun an Nathan. Er tuckert mit ihr während der nächsten zwei Monate durch Westaustralien.


Gefahrene Kilometer: 2952
Gefahrene Höhenmeter (nur bergauf gerechnet): 9253 (es ist weiterhin sehr flach)
Komplette Route: Perth/Fremantle - Dongara - Geraldton - Mullewa - Murchison - Mount Augustus - Paraburdoo - Tom Price - Karijini Nationalpark - Auski - Nullagine - Marble Bar - Port Hedland - Broome
Platten: 5

Das war die letzte Mail von Etappe 30. Bis zur nächsten Tour!
Es geht mir bestens!
Kus oder Cusco (je nach sozialem Umfeld)